„DER AUFBRUCHSGEDANKE IST IMMER NOCH DA!“

Als mir meine Freundin Marie vom Projekt F wie Kraft erzählt hat, musste ich sofort an Grit Lemke und ihren Film „Gundermann Revier“ denken: eine engagierte Frau, die aus der Lausitz stammt, in der Welt aktiv ist und sich filmisch mit ihrer Heimatregion auseinandersetzt. Ein paar Mails und Whatsapp-Nachrichten später treffen wir uns zum Zoom-Interview und sie erzählt mir von dem Film, ihren Gedanken zur Lausitz als ehemalige Utopie und die Möglichkeiten, die sie für die Region sieht.

Grit Lemke wurde in Spremberg geboren und wuchs in Hoyerswerda auf. Nachdem sie für das DOK Leipzig, das Sheffield Doc/Fest und das Filmfestival Cottbus gearbeitet hat, wandte sie sich der produktiven Seite der Filmarbeit zu. Ihr erster Langfilm „Gundermann Revier“ erschien 2019 und wurde für den Grimme-Preis 2020 nominiert. In Archivbildern, Ausschnitten aus DDR-Aufbau- und Dokumentarfilmen sowie Interviews mit den Mitgliedern der Brigade Feuerstein und den Musiker*innen sowie Wegbegleiter*innen um Gundermann erzählt er von der Zeit vor und nach der Wende. Lemke zeichnet ein Bild von Menschen in der Lausitz, die von der Person Gundi Gundermann und seiner Musik ebenso wie vom Leben mit der Braunkohle geprägt wurden.

Grit Lemke © Börres Weiffenbach

Die Lausitz ist Ihre Heimat. Was ist das Erste, das Ihnen einfällt, wenn Sie an die Lausitz denken?

Grit Lemke: Das sind Kindheitsbilder, aus Spremberg, aus dem Dorf. Ein kleiner Weg mit  einer Blumenwiese davor, ein paar Häuser. Also eine klassische idyllische Kindheitserinnerung. Viele Kinder, Bäume im Garten, draufklettern, rumrennen, sowas. Also, Geborgenheit eigentlich!

Mittlerweile arbeiten Sie für das Filmfestival Cottbus, sind Mitglied im Filmnetzwerk Łužycafilm und Regisseurin des Films „Gundermann Revier“. In was für einer Rolle sehen Sie sich denn in Bezug zur Lausitz?

Grit Lemke: Ich sehe mich in einer Vermittlerrolle. Es ist mir in den letzten Jahren bewusst geworden, dass es gar nicht so viele Leute gibt, die sich einerseits in der Lausitz verwurzelt fühlen und eine Art Heimatliebe mitbringen und die trotzdem – so wie ich – international verankert sind. Ich habe viele Jahre bei DOK Leipzig das Programm geleitet und war bei den großen Festivals der Welt zu Hause. Mein zweites Standbein ist ganz woanders, wodurch ich einen Blick von außen gewonnen habe. So habe ich vieles anders einordnen können als die Leute in der Lausitz. Mir fällt auf, dass sie dazu neigen, alles klein zu machen, was es dort gibt. Ich weiß, dass es nicht klein ist und finde alles super spannend. Ich sehe mich also in einer Vernetzungsrolle. Wenn es um Film in der Lausitz geht, was mich in den letzten Jahren am meisten beschäftigt hat, dann sehe ich meine Aufgabe darin, diesen zu professionalisieren. Ich sehe in der Lausitz ganz viel Potential und tolle Geschichten, aber es läuft überhaupt nicht professionell ab. Ich habe in den letzten Jahren immer mal wieder etwas mit den Leuten in der Lausitz gemacht, nicht nur den Film. Und ich merke, dass ich gewöhnt bin, ganz anders zu arbeiten. Einfach aus den Zusammenhängen heraus, in denen ich die letzten dreißig Jahre gearbeitet habe. In der Lausitz geht es dann doch eher langsam zu, man ist weniger vernetzt… das fängt jetzt gerade erst an. Und was ich mitbringen kann ist, dass ich ein Bein in der Lausitz habe und eins außerhalb.

Die Braunkohlereviere prägen die Lausitz (www.gundermannrevier.de)

Wie kamen Sie denn auf die Idee, den Film zu machen?

Grit Lemke: Das war gar nicht meine Idee, muss ich tatsächlich sagen. Das war die Idee der Produktionsfirma und ursprünglich sollte es eine andere Autorin machen, die dann doch nicht konnte. Ich bin wirklich so reingerutscht. Ursprünglich sollte ich nur beraten, aber es wurde immer klarer, dass es auch meine Geschichte ist und dass ich einen Insiderblick mitbringe. Ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit der ganzen Thematik zu Gundermanns Leben und Werken in der Lausitz. Abgesehen davon, dass ich Gundermann kannte und mit der ganzen Brigade Feuerstein befreundet war und bin, habe ich für die Kulturfabrik in Hoyerswerda die Gundermann Schaltzentrale mit konzipiert und kannte daher viel Archivmaterial. Dazu habe ich mich in den letzten Jahren mit Hoyerswerda und der ganzen Utopie der Aufbaugeneration beschäftigt. Ich habe viele Interviews geführt und arbeite seit einigen Jahren an einem Buch dazu… ich war also schon sehr in der Geschichte drin und konnte das alles relativ schnell in den Film bringen. Wir hatten für den Film nur circa ein halbes Jahr Zeit. Und das hat auch funktioniert, weil ich mich generell mit dem Thema beschäftige.

Und welche Bedeutung hat der Film für die Lausitz?

Grit Lemke: Es ist der erste abendfüllende Kinofilm, der von jemandem aus der Lausitz über die Lausitz gemacht wurde. Das ist tatsächlich eine Art Meilenstein. Dass wir unsere eigenen Geschichten erzählen, das gab es bis jetzt nicht. Man muss sich ansehen, was es zum Beispiel für eine reichhaltige Filmszene in Bayern gibt, mit Filmstrukturen und Filmförderung. Wir sind fast die einzige Region, die so etwas nicht hat Und das, obwohl wir kulturell gesehen eine der reichsten Regionen in Deutschland sind, weil wir nicht nur eine, sondern zwei Kulturen haben. Wenn man also nach der Bedeutung des Films für die Lausitz fragt, könnte man sagen, es ist der Anfang von etwas. Der Film ist ja auch international wahrgenommen worden und dadurch ist es von jetzt an vielleicht leichter, solche Geschichten zu erzählen. Einer muss ja den Anfang machen. Ich arbeite mittlerweile auch an einem neuen Filmprojekt und muss dort nicht mehr erklären, wer ich bin und was ich mache. Die Aufmerksamkeit ist schon da. Insofern ist der Film nicht nur für mich ein Anfang, sondern für die Region.

Sie haben selbst gesagt, es gab eine Utopie, die damals gelebt wurde. Man sieht auch im Archivmaterial im Film, dass Hoyerswerda eine aufstrebende, kinderreiche Fortschrittstadt in der DDR war. Ist denn davon noch etwas übrig?

Grit Lemke: Davon ist ganz viel übrig! Die Stadt hat einen beispiellosen Aufstieg erlebt und genau so einen beispiellosen Abstieg. Wenn man in drei Jahrzehnten mehr als die Hälfte der Einwohnerschaft verliert, ist das Wahnsinn. Trotzdem sind der Aufbruchsgedanke und dieser Geist in der Stadt immer noch da. Es ist natürlich nicht mehr so wie es mal war, so wie ich es als Kind erinnere. In den 70er Jahren hat es wirklich die ganze Stadt umfasst: der Gedanke, man baut hier etwas neues Tolles auf. Natürlich gab es in den 80er Jahren zunehmend eine Enttäuschung, weil es dann doch nicht so toll wurde. Und es ging immer weiter mit der Enttäuschung. Aber es gibt immer noch diese Leute und diesen Gedanken: Hier ist nichts, deshalb müssen wir uns selbst etwas schaffen! Es gibt die Kulturfabrik und den Bürgerchor. Dieser war mir extrem wichtig im Film, um zu zeigen, dass die Lieder von Gundermann da angekommen sind, wo er sie haben wollte. Das ist eine Selbstermächtigung, eine Art Empowerment! Es gibt immer wieder Initiativen und es entsteht immer wieder etwas Neues. Selbst wenn man weiß, dass es ein extrem hohes Durchschnittsalter gibt und die jungen Leute weggehen, gibt es so eine Art Pioniergeist oder eine Chance mit dem Strukturwandel. Man muss nur aufpassen, dass es uns nicht wieder von außen aufgedrückt wird, was gerade eine große Gefahr ist. Aber in Hoyerswerda gibt es sie, die Experten dafür „Etwas Neues zu schaffen“ und „Immer wieder von vorne anzufangen“. Eigentlich sind das die absoluten Experten von Transformation, weil die Stadt darauf gegründet ist. Und das merkt man immer noch, finde ich.

Der Gundermann-Chor in Hoyerswerda (www.gundermannrevier.de)

Was für Chancen Sehen Sie für die Zukunft der Lausitz und für engagierte Frauen in der Lausitz, wie Sie selbst?

Grit Lemke: Welche Chancen die Lausitz hat, wird sich in den nächsten Jahren entscheiden. Und ob die Akteure selbst einen Fuß in die Tür bekommen werden. Ich habe oft erlebt, dass uns in Runden, in denen es um die Zukunft der Lausitz ging, Leute aus dem Westen vor die Nase gesetzt worden sind. Die Leute aus Hoyerswerda haben ihnen zugehört, dabei sind sie die eigentlichen Experten. Da ist, glaube ich, viel falsch gemacht worden. Die Frage ist jetzt, ob wir die Sache selbst in die Hand nehmen können. Es hat damit zu tun, dass es den Lausitzern an Selbstbewusstsein, Vernetzung und Know-How, wie man sich in Strukturen bewegt, fehlt. Aber Sachkompetenz gibt es ganz viel in der Lausitz. Insofern kann ich nur hoffen, dass wir endlich selbst über unsere Zukunft entscheiden dürfen. Was die Frauen betrifft, ist die Lausitz manchmal finsterstes Mittelalter, sprachlich und in Bezug auf Frauenbilder, die dort vorherrschen. Da steht der Lausitz noch ein langer Lernprozess bevor. Dabei sind die Lausitzerinnen ja keine verhuschten Mädels, sondern emanzipierte Frauen. Das ist ein Landstrich voll von tollen Frauen! Aber schön wäre es, wenn es insgesamt noch mehr Bewusstsein für das Thema Gendergerechtigkeit gäbe. In den lokalen Medien werden oft Bilder von Entscheiderrunden gezeigt, die nur aus Männern bestehen. Das gibt es nur noch in der Lausitz! Und das muss sich wirklich ändern. Da bin ich auch gern noch ein bisschen die Spielverderberin. (lacht)

Grit Lemke

… kann man als Moderatorin am 19. August in der Kulturfabrik Hoyerswerda beim Wahlkampftalk zur OB-Wahl in Hoyerswerda live oder über einen Online- Stream sehen. Kontakt mit Grit Lemke können Sie über ihre Website (www.gritlemke.de) oder per Mail aufnehmen (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

Eva Maas

… wuchs in Bautzen auf, studierte in Leipzig Kommunikations- und Medienwissenschaften im Bachelor und im Master World Heritage Studies an der Technischen Universität Cottbus. Neben und nach dem Studium arbeitete sie für diverse Filmfestivals, z.B. das interfilm Berlin und die Berlinale. Der Leidenschaft zu filmbezogenen Themen, Kultur und Female Empowerment will sie weiterhin treu bleiben und diese in ihre Heimatregion zurücktragen.

Quellen:
Zoom-Interview zwischen Eva Maas und Grit Lemke, vom 09.06.2020
Fotos: www.gundermannrevier.de
www.gritlemke.de
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