Intuition als Antrieb für die Gesellschaft

Nadine Tannreuther im Interview mit Arielle Kohlschmidt

Als kreativer Kopf werde ich auf der Suche nach Gleichgesinnten in der Lausitz schnell fündig: Arielle Kohlschmidt engagiert sich für die Kreativszene, den ländlichen Raum und für Frauen. Aber bestimmt auch noch viel mehr!?

Liebe Frau Kohlschmidt, bitte erzählen Sie uns etwas über sich: Wer sind Sie, woher kommen Sie und welche Bildungswege haben Sie beschritten?

In Cottbus bin ich geboren und ging mit 17 eigenständig nach Berlin, ich hatte vorher bereits allein gewohnt. In Berlin absolvierte ich mein Abitur, da dort viele Freund*innen waren. Alles war viel aufregender dort. Eher zufällig habe ich dann auch dort studiert. Denn eine Freundin machte mich auf den letztmöglichen Bewerbertag für Psychologie an der TU Berlin aufmerksam. Diese Chance nahm ich spontan wahr und studierte dort – mal mehr und mal weniger.

Doch die vielen, vielen Menschen an der Uni – das war nichts für mich. Wenn ich mit 12 Kommiliton*innen in einem Seminar war, das brachte was. Doch meistens saßen wir mit 70-80 Leuten für 90 Minuten eingezwängt! Schnell habe ich gemerkt, dass ich allein mit dem Buch viel schneller bin.

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Glücklicherweise ergab sich zu dem Zeitpunkt eine ganz andere Möglichkeit, nämlich Geschichten über „Bernd das Brot“ für den Kinderkanal zu schreiben. Zwar hatte ich das vorher noch nie gemacht, aber ich dachte mir wie so oft im Leben: Ich kann das! Und plötzlich war ich Autorin und verdiente eine ganze Menge Geld. Das Vordiplom machte ich auf Wunsch meiner Familie noch. Gebraucht habe ich es bis zum heutigen Tag nicht.

Sehr intuitiv! Wie ging es weiter?

Nach einem halben Jahr Pause bin ich nochmal aus Gründen der Vernunft ins Institut zurück, um zu schauen, was noch anstehen würde und habe sofort gemerkt: der Hals zieht sich mir zusammen. Ich habe das Studium abgebrochen und mich als Autorin selbstständig gemacht. Und dann gab‘s einen Zufall und der Bauch hat entschieden – wie so oft in meinem Leben: Im Schienenersatzverkehr-Bus fand ich eine Zeitungsseite, in der eine Anzeige verhieß: Forsthaus zu vermieten. Das passte. Ich hatte genug von der Lautstärke und von der Enge der Stadt, genug Berlin ausgekostet und so ging es auf‘s Land! 2001 machte das Internet es auch gerade möglich, von dort zu arbeiten. Ich habe mich direkt sehr wohl gefühlt. Mit „Bernd das Brot“ war es dann allerdings schnell wieder vorbei.

Und damit auch mit der Geldquelle?

Die Quelle hat sich einfach verändert, denn ich habe mich intuitiv und mit Glück und der Hilfe meiner Familie weiter entwickelt. Mein Vater war Historiker und so habe ich angefangen, für seine Ausstellungen Texte zu schreiben. Dann wurde jemand gebraucht, der die Ausstellungstafeln gestaltet. Ich habe beide Aufgaben übernommen, obwohl ich nicht wusste, dass ich es kann.

Anschließend arbeitete ich als Filmdramaturgie-Assistenz am mediencollege in Dresden. Und wie so oft eignete ich mir das benötigte Wissen leidenschaftlich an.

In dieser Zeit habe ich super viel gearbeitet und die Lage war oft prekär. Doch bei allem hatte ich das Gefühl: Wenn ich etwas anderes mache, komme ich nie dahin, wohin ich will. Mein Ziel war es, von zu Hause aus zu arbeiten und meinen eigenen Zeitplan zu haben. Mein eigener Chef zu sein und selbst zu bestimmen.

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 Was war der Grund dafür, zurück in die Lausitz zu gehen? 

Vor allem die Natur war mir wichtig. Und in der Lausitz gab es unschlagbar günstige Häuser. Seit 2009 wohne ich in einem kleinen Dorf direkt an der Neiße. Ich liebe es, spazieren zu gehen. Hier gibt es viele besondere Orte, die in keinem Reiseführer stehen. Die Menschen haben sich gefreut, dass wir gekommen sind. Die Region fühlt sich für mich warm an. Und hier existieren noch viele Nischen. Das noch nicht Getane eröffnet unzählige Möglichkeiten und so bin ich z. B. die erste Kundalini Yogalehrerin in der Region geworden. Die erste abgeschlossene Ausbildung in meinem Leben. Das was andere vielleicht als Untergang definieren, sehe ich als Platz für Neues.

Wie hat sich Ihr Leben seit 2009 verändert?

 Damals war ich noch ziemlich einsiedlerisch unterwegs. Ich bin auf‘s Land, um meine Ruhe zu haben, doch das hat sich mit den Jahren sehr gewandelt. Mir hat sich ein ganz anderer Teil meiner Persönlichkeit eröffnet. Heute übernehme ich Projekte, die ein Netzwerk und eine Verbindung aus vielen Leuten benötigen.

Nutzen Sie dabei Netzwerke und wenn ja, (wie) verknüpfen Sie diese?

Ich bin in einer ganzen Reihe von Netzwerken ständig aktiv, beispielsweise unser eigenes „Raumpionier-Netzwerk“, das „Neulandgewinner-Netzwerk“ sowie das Netzwerk der „Bürgerregion Lausitz“. Von anderen Netzwerken weiß ich, wie zum Beispiel „F wie Kraft“ und verbinde mich temporär, wenn es gerade Sinn ergibt.

Wir können unsere Netzwerke sehr einfach miteinander verknüpfen, indem wir alle zu unseren Veranstaltungen einladen oder Teile von Netzwerken auf anderen Veranstaltungen treffen.

Sie sind so vielseitig! Welche besonderen Fähigkeiten zeichnen Sie aus?

Ich glaube, ich habe ein paar Metafähigkeiten geschenkt bekommen. Ich kann sehr schnell lernen, ich kann mir allein Wissen aneignen, ich kann Komplexes einfach erklären. Auf diese Weise habe ich Schreiben gelernt, Grafikdesign, Websites programmieren, Filmschnitt und Schnittregie. Mein Lebenslauf ist voller wirr erscheinender Wege. Ich hatte nie einen Plan, aber Intuition. Am Ende konnte ich sehr viele meiner Fähigkeiten bei Meditations-Workshops für Kreativität & Intuition verbinden: Mein psychologisches Wissen, meine Erfahrungen, wie ich zu Ideen komme und das Unterrichten von Meditation.

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 Welche Kraft treibt Sie dabei an?

Vor allem Freude. Und glücklicherweise immer weniger das „Geld verdienen müssen“.

Ich bin ein sehr intuitiver Mensch. Ein freudiges Herzklopfen und ein sofort Ideen lossprühender Geist zeigen mir an, wohin der Weg geht. Dabei merke ich auch sehr schnell, wenn etwas nicht zu mir passt. Dann bekomme ich innerhalb einer halben Stunde Rückenschmerzen, die ich sonst nie habe.

Wie schaffen Sie es, so viele verschiedene Projekte zu managen?

Vor allem mit Pausen und selfcare: Die ersten 1,5 Stunden des Tages gehören Yoga und Meditation. Mittags lege ich mich hin und mache gar nichts, so lange bis ich wieder einen Impuls habe, aufzustehen. Dann meditiere ich ein zweites Mal. Ansonsten hilft mir Gartenarbeit und das Verbinden mit der Natur, die vielen Bälle zu jonglieren. Das ist natürlich das Ideal, was nicht immer klappt, aber recht oft.

Wie verschaffen Sie sich als Frau Gehör und setzen Ihre Ziele um?

Mein Leben lang habe ich immer andere beneidet, die Ziele hatten. Doch bei mir stellte sich so etwas nicht ein. Meine Kraft beziehe ich aus dem Bauchgefühl. Ich hätte mein Leben nie so planen können. Heute vereine ich Vieles und Alles ergibt auf einmal Sinn. Ich liebe die Vielfalt. Intuition schafft Kräfte, etwas durchzuziehen. Wenn ich so einen Moment habe, dann klopft mein Herz und ich merke: das ist total wichtig für mich.

Tja und wie ich mir als Frau Gehör verschaffe?

Als Kind beschloss ich, keine typische Frau zu werden und wollte so einer geringschätzigen Behandlung entgehen. So habe ich mir eine ganze Reihe von mich stärkenden Glaubenssätzen angenommen. Und das strahle ich heute unbewusst aus. Das ist so meine Theorie dazu. Probleme mit Mut habe ich jedenfalls nicht.

Wie gestalten Sie mit Ihrem Engagement den Strukturwandel in der Lausitz?

Unser Projekt Raumpionierstation Oberlausitz reicht Menschen die Hand, die den Gedanken in sich tragen, in die ländliche Lausitz zu ziehen. Wir beraten und begleiten sie. Mit unserem Netzwerk von bereits hier lebenden Raumpionieren machen wir weitere schon hier lebende Zuzügler*innen und Rückkehrer*innen sichtbar und erzählen ihre Geschichten. Diese fungieren als role model und sie machen Mut. Wir drehen das Klischee vom untergehenden, rückständigen ländlichen Raum um und machen ein Abenteuer daraus!

Ich bin außerdem im Koordinierungskreis der Bürgerregion Lausitz, die der Zivilgesellschaft ein Gesicht und eine Stimme gibt und bei Kreative Lausitz aktiv. Diese beiden Initiativen wirken über die Landesgrenzen hinweg, was sehr wichtig ist, da bisher nur wenige Verbindungen bestehen.

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Was benötigen Sie, um dies weiterhin zu tun?

 Zum einen andere Menschen, die ebenso Lust und Freude daran haben. Zum anderen immer wieder Geld. Geld ist ja so eine Art Sauerstoff, den wir alle beständig brauchen. Mein Mann und ich haben eine interne Regel aufgestellt, dass wir maximal 15% unserer verfügbaren Arbeitszeit ehrenamtlich leisten. Denn oft ist es ja so: Wer etwas macht, der macht bald noch mehr. Ich habe schon eine ganze Reihe Ehrenamtlicher erlebt, die sich in den Burnout gearbeitet haben.

Welchen Tipp haben Sie, um als Frau für den Strukturwandel richtig durchzustarten?

Zusammentun und Netzwerken, diese Kraft ist toll! Miteinander und nicht gegeneinander arbeiten – einfach mal machen!

Und was wünschen Sie sich für die Zukunft der Lausitz?

Ganz klar: mehr Bürger*innenbeteiligung, mehr bottom-up-Prozesse und -projekte, mehr tatkräftige und kreative Menschen, eine kleinteilige sowie nachhaltige und ökologische Wirtschaft als auch deren Förderung und regionale Wirtschaftskreisläufe. Außerdem für alle, die es wollen, den vier bis sechs Stunden Arbeitstag, ein Grundeinkommen sowie weniger Regeln und weniger bauliche Vorschriften für Privathäuser.

Kontakt: 

Arielle Kohlschmidt

Podroscher Str. 26

02957 Krauschwitz

https://www.raumpioniere-oberlausitz.de/raumpioniere/arielle-kohlschmidt/

 

Nadine Tannreuther...

... ist freie Kreativdirektorin aus der Partnerstadt Wiesbaden und war 2019 für einen Monat zu Gast in Görlitz – und hat sich verliebt. Das Programm „Stadt auf Probe“ hat ihr gezeigt, wie schön die Gegend und entspannt das Leben ist. Nun sucht Sie nach Anknüpfungspunkten um wieder zu kommen. Ihre Mission: die Ästhetik der Medien – Informationen gemäß ihrer Zielgruppe mit einer Vision vermitteln. Dafür schreibt, gestaltet, fotografiert und filmt sie leidenschaftlich. Ihr Pilotprojekt in Görlitz ist ein Printmagazin LUST AUF GUT und wird 2022 im Februar erscheinen. https://www.lust-auf-gut.de/magazine-previews/blaettern/lust-auf-gut-magazin-wiesbaden-nr-155/. Auf Kooperationen bezüglich der Produktion freut sie sich!

Kontakt:

Nadine Tannreuther

+49 157 55 424 136

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

https://artaspekt.business.site/

Fotos...

... von Tine Jurtz: https://www.tinejurtz.de/

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