WIE WEIBLICH IST DER STRUKTURWANDEL?

Die Lausitz, Cottbus, eine Region und somit die Heimat vieler befinden sich im Strukturwandel. Doch was heißt das? Eine Frage, der es sich zu stellen gilt und gleichzeitig lässt sich keine einfache Antwort darauf finden. Der Begriff muss intensiv beleuchtet werden und es sollte ein Blick auf die Menschen und Personengruppen erfolgen, die dabei in den Fokus rücken oder dabei nahezu unbeachtet bleiben.

Wir kommen aus einem Bereich, in dem wir speziell nach Einstellungen und Befindlichkeiten fragen und quasi Ursachenforschung und Biografiearbeit leisten. Soziale Arbeit ist Care-Arbeit und die Pflege und damit verbundene Beziehungsarbeit mit jungen Menschen führen dazu, dass wir Personen und auch Gruppen über einen langen Zeitraum begleiten und somit einen tiefen Einblick in Lebenswege und gegenwärtige Bedarfslagen haben. Natürlich gibt es regional viele Projekte und Träger, die sich ebenfalls der offenen Kinder- und Jugendarbeit verschrieben haben, ebenfalls eine Expertise leisten und fachliche Informationen zu Handlungsfeldern äußern können. Unsere Besonderheit innerhalb der Jugendarbeit ist jedoch der geschlechterreflektierende Blick bzw. die gezielte Arbeit mit Mädchen und jungen Frauen. Mädchen(politische) Arbeit ist in Brandenburg keine Selbstverständlichkeit und gilt als unterfinanzierter oder auch fehlbetragsfinanzierter Bereich, der häufig den freiwilligen sozialen Leistungen zugeschrieben wird. Folglich steht diese pädagogische Arbeit mit einer tollen und vielfältigen Zielgruppe unter hartem Erfolgs- und Legitimationsdruck. Seit 1991 behauptet sich das Mädchenprojekt in der Jugendförderlandschaft und hat 2017 durch einen Generationswechsel im pädagogischen Team Arbeitsschwerpunkte neu gesetzt und intensiviert, wodurch sich unter anderem die gegenwärtige Ziel- bzw. Nutzerinnengruppe zwischen 16 und 27 Jahren bewegt. Medienpädagogische Arbeit, Berufsorientierung, Lebensplanung und -begleitung und Selbstbefähigung im Kontext diverser Schlüsselkompetenzen verkörpern Kernanliegen der Arbeit und sind stetiger Inhalt der Beziehungsarbeit und der Angebotsrealisierung. Diese Arbeit ist immer in einem politischen, sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Kontext eingebunden, denn diese Schnittstellen sind Teil einer jeden Lebensrealität und des eigenen Alltags; unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialer Herkunft oder auch Nationalität. Folglich erscheint es nicht verwunderlich oder überraschend, dass auch unser Projekt und die Mädchenarbeit mit dem Thema Strukturwandel konfrontiert wird, allerdings ist dabei die Bearbeitung durchaus niedrigschwelliger und die gedankliche und emotionale Aufarbeitung liegen im Fokus.

MiA FwieKraft Strukturwandel

„Unsere Stadt sollte mehr sein als ein Fußballstandort oder eine Ansammlung von Unternehmen.“[1]

Bis in die 1990er Jahre hinein definierte sich die Lausitz als Wirtschaftsstandort für Braunkohle und sah in dieser dauerhaft eine wichtige regionale Besonderheit und durchaus auch ein Alleinstellungsmerkmal. Mit dem fortschreitenden demografischen Wandel, der Verabschiedung von der Braunkohle und dem gleichzeitigen Wunsch, Fachkräfte in der Region zu halten und ein attraktiver Lebensstandort zu bleiben, wurde klar, dass sich zum einen die Lausitz in ihrem Selbstverständnis wandeln musste und zum anderen die Regierung vor der Herausforderung stand, finanzielle Unterstützungen und perspektivische Wege aufzuzeigen. Viele Unternehmen, Dörfer, Familien und Einzelpersonen standen vor der Frage: Wie geht es weiter? Was wird und muss passieren, damit ich meine Heimat nicht verlassen muss und die Lausitz nicht an Attraktivität verliert? Aus diesen Zukunftsfragen und -ängsten heraus haben Ministerien, Regierungen und Kommunen selbst Vorhaben, Leitsätze und Investitionsgedanken formuliert, die den Osten für die nächsten Jahrzehnte stabilisieren und voranbringen sollen.

In den letzten Monaten konnten wir in regionalen Medien mitverfolgen, dass diese großen Ziele ihre Realisierung finden oder in Planung sind. Eine medizinische Fakultät soll den Status der Universitätsstadt Cottbus stärken, das Bahnwerk RAW wird neue Aufträge und Bauvorhaben umsetzen, Umweltfreundlichkeit und Digitalisierung stehen auf der Agenda und Unternehmen werden sich in der Region ansiedeln.

Im Kontext des Begriffs Strukturwandel wird somit schnell eines deutlich; nämlich, dass der Begriff eher wirtschaftlich, finanziell und ökonomisch gedacht wird. Blicken wir allerdings auf die Zielgruppe der jungen Frauen bzw. generell auf eine junge, nachwachsende Generation, wird klar, dass diese Betrachtung und Ausrichtung von Strukturwandel nicht ausreichend ist und dadurch eine unbewusste Ausgrenzung stattfindet. Junge Frauen befassen sich intensiv mit sozialen (Problem-) Lagen und mediale, digitale sowie kulturelle Bereiche sind Teil ihres Alltags. Diese Auseinandersetzung begründet sich zum einen berufsspezifisch und zum anderen aufgrund von noch vorherrschenden Rollenbildern, Anforderungen oder auch Herausforderungen an Mädchen und junge Frauen. Trotz geschlechterreflektierender Angebote im schulischen, privaten und beruflichen Kontext wie beispielsweise MINT-Programmen oder dem Girls Day und dem Versuch, binäre Denkstrukturen und vorherrschende Geschlechterstereotype aufzubrechen, fallen die Berufswünsche und -wege junger Frauen sehr stereotyp aus. „[…]Frauen wählen auch deswegen eher traditionelle Arbeitsfelder, weil dort mehr Frauen sind. So müssen sie mit weniger Widerständen ihrer Umgebung rechnen und können sich mehr Unterstützung erhoffen, als in „männlichen“ Arbeitsfeldern, Tätigkeiten oder Berufen. Ebenso lässt sich natürlich auch „Ärger vermeiden“, wenn bestimmte höhere Funktionen / Positionen gar nicht erst angestrebt werden.“[2] Viele junge Frauen suchen sich Ausbildungs- oder Studienbereiche, die im Dienstleistungssektor oder im sozialen, pflegenden Bereich verankert sind und streben hierbei auch nicht immer Führungspositionen oder leitende Tätigkeiten an.

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Handwerk, Technik, Wirtschaft, Finanzen sind noch immer männerdominierte Branchen und genau in diesen findet Strukturwandel gegenwärtig statt und wird diskutiert. Vorwurfsvoll lässt sich also formulieren, dass der Strukturwandel Lebenswelten von Frauen keine Berücksichtigung schenkt und gleichstellungspolitische Fragen und Gedanken nicht aktiv mitgedacht werden. Wenn der Strukturwandel darauf zielt, eine vielfältige Zielgruppe partizipatorisch mitwirken zu lassen, dann muss sich der Wandel folglich auf alle Strukturen beziehen, weitergedacht werden und soziale, ökologische und kulturelle Bereiche aktiv berücksichtigen. Eine Stadt oder Region gewinnt nicht nur an Attraktivität oder verbessert das eigene Image durch die Existenz von wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen, sondern durch die Verbesserung von Rahmenbedingungen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dem Vorhandensein zahlreicher Kultur- und Freizeitangebote und vor allem durch die Aufwertung, Wertschätzung und entsprechende Entlohnung von sozialer Arbeit. Gerade die Folgen von Corona haben gezeigt, wie wichtig die zwischenmenschliche Arbeit ist und welchen hohen Stellenwert Beziehungs- und Sozialstrukturen haben. (Junge) Frauen entwickeln ein Zugehörigkeits- und Identitätsgefühl aufgrund von Beziehungsstrukturen und positiven Erlebnissen; sprich sie setzen jegliche Entwicklungen und Gegebenheiten in Kontext zu ihrem Lebensalltag. Strukturwandel beinhaltet somit eine starke emotionale Komponente, die nicht zu unterschätzen ist und der sich alle Beteiligten stellen müssen.

„Keine Ahnung, was Strukturwandel genau meint – geht es da um Umwelt, Menschen, Gesellschaft? Ich glaub, das meint vor allem die Situation mit der Braunkohle.“[3]

Die Unsicherheit und das fehlende Wissen zum Strukturwandel, zeigen auf, dass dieser eine gesamtgesellschaftliche Kooperationsaufgabe darstellt und nur alle Zielgruppen bewegt und anspricht, wenn sich Wirtschaft, Finanzwelt, Politik, Bildung und soziale Arbeit ihrer gemeinsamen Verantwortung bewusst werden, sich in Netzwerken zusammenfinden und gemeinsame  (Entwicklungs-) Angebote schaffen. Wirtschaft und Politik müssen also sowohl für die Belange der jungen Menschen sensibilisiert werden, als auch für die vielfältigen Lebenslagen von Frauen. Alters-, zielgruppen- und geschlechtergerechte Ansprache und Planungsprozesse sind unverzichtbar. Bund- und länderübergreifendes Agieren, Begegnung auf Augenhöhe, Offenheit für Neues und das Einbeziehen der Menschen, sowie das Weiterdenken von Bildungsprozessen und Kompetenzen sind die Schlüsselwege, um junge Menschen zu begeistern. Der Strukturwandel muss weniger „abstrakt“ sein und für junge Menschen griffiger werden. Schule und Freizeiteinrichtungen können eine ergänzende Schnittstelle darstellen und der Politik und Wirtschaft lebensweltnahe Wege aufzeigen. Projekttage, Kooperationsevents, niedrigschwellige Bildungs- und Präventionsangebote und die Stärkung von jugendlichem Engagement innerhalb des (Schul-)Alltags gewährleisten eine aktuelle Auseinandersetzung mit dem regionalen und aktuellen Zeitgeschehen. Dabei ist nicht zu unterschätzen, welche wichtige Rolle weibliche Führungs- und Fachkräfte als Multiplikatorinnen spielen. Das Aufzeigen von starken weiblichen Erfolgsgeschichten innerhalb einer Region steht für eine gelungene Gleichstellungspolitik, Chancen, Perspektiven und Vielfalt.

Strukturwandel ist ein von Menschen geschaffener Prozess und kann nachhaltig nur dann für Alle wirken, wenn der Mensch in seiner Vielfalt ganzheitlich eingebunden wird.

[1] Zitat: Lea K., 19 Jahre

[2] Jacob, Kerstin: Frau Schneider macht die Beratung, Herr Müller schreibt das Konzept. – Geschlechterstrukturen im Beruf der Sozialen Arbeit. S. 60-69, in: Matthies, Aila-Leena / Mingerzahn, Frauke / Armbruster, Reinhard M. (Hrsg.): Weiblichkeit und Männlichkeit in der Sozialen Arbeit. Magdeburger Reihe Bd. 14. Hochschule Magdeburg-Stendal 2004. S. 66.

[3] Zitat: Kim M., 21 Jahre

Die Autorinnen…

… Marlen Berg (36, MA Erziehungswissenschaft/Literaturwissenschaft) und Franziska Reifenstein (30, BA Soziale Arbeit), gebürtig aus Cottbus, bilden seit 5 Jahren das pädagogische Team des Mädchenprojekts MiA – Mädchen in Aktion. Neben der mädchen- und frauenpolitischen Arbeit innerhalb des Frauenzentrum Cottbus e. V. arbeiten sie zudem innerhalb der Kinder- und Jugendlandschaft der Stadt Cottbus, sind aktiv in sozialen und kulturellen Vereinen tätig und sehen gemeinsam Interessensschwerpunkte in der medienpädagogischen Arbeit. Gemeinsam bedienen sie einen Livestream mit sexualpädagogischer Ausrichtung, stärken Jugendbeteiligungsprozesse und haben intensives Interesse an dem Auf- und Ausbau der regionalen Netzwerkkultur.

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Fotos: MiA – Mädchen in Aktion

 
 
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