Allein zurückkehren will niemand

Anfang 20 und gerade aus der Lausitz weggezogen. Kommt man jemals wieder? Unsere Autorin hat sich in ihrem Freundeskreis umgehört.

 von Hanna Scheudeck    

Bild Hanna Scheudeck

"Statt sich als 'Unbezahlbarland' oder Ähnliches anzupreisen wäre es ehrlicher zu sagen: Wir haben hier Probleme und wir brauchen Euch, um sie zu lösen."

Foto: Dim Hou     

Jedes Jahr zu Weihnachten sind sie wieder versammelt. Wenn die Freundinnen und Freunde, mit denen ich meine Jugend im Kreis Bautzen verbracht habe, zu Besuch kommen, dann ist die Region wieder lebendig für mich. So geht es den anderen auch. Wir reden dann darüber, wie es wäre, wieder heimzukehren nach dem Studium. Doch wer macht den ersten Schritt? Allein will niemand in der Lausitz leben. Zu vage sind die Chancen, auf neue Menschen zu treffen, mit denen man seine Zeit verbringen möchte. Wenn ich zurückkehren will, muss ich wohl mein soziales Umfeld mitnehmen - oder einen Teil meines Soziallebens verzichten.

 Wenn ich mir meine Zukunft vorstelle, würde ich mir wünschen, dass darin wieder die Lausitz vorkommt. Vielleicht habe ich auch mittlerweile eine romantisierte Vorstellung von der Gegend, weil ich zu lange weg war. Je konkreter ich es mir vorstelle, umso weiter rückt diese Zukunft in die Ferne. Umso stärker kehren die Erinnerungen zurück an das stundenlange Warten auf den Bus und das frustrierende Freizeitangebot.

 In Bautzen gibt es keinen Club in dem ich mit meinen Freundinnen und Freunden ausgehen könnte. Und die wenigen Bars in der Stadt werden kaum von Jugendlichen besucht. Dann wird mir wieder bewusst, dass soziales und kulturelles Angebot in der Region nur zustande kommt, wenn die Menschen sich selbst darum kümmern. Die schier endlosen Möglichkeiten, in der Großstadt seine Abende zu verbringen, können überfordern. Doch für mich haben sie auch ein großes Stück Freiheit bedeutet, auf das ich nicht so schnell wieder verzichten möchte.

Wenn Du studieren willst, musst Du weg

 Ich bin 2019 wegen meines Studiums nach Dresden gezogen. Das war keine bewusste Entscheidung gegen die Lausitz, eher eine logische Konsequenz: Wenn Du studieren willst, musst Du weg! Die Lausitz zu verlassen war der natürliche Verlauf der Dinge. Alle meine Freundinnen und Freunde machten es genauso. In meinem alten Wohnort kenne ich nun kaum noch Menschen in meinem Alter – sie alle sind fortgegangen. Nicht nach New York oder Paris – eher nach Leipzig oder Dresden. Ein paar wenige hat es auch nach Berlin verschlagen.

 In der Großstadt haben sie gefunden, was in unserer Region unvorstellbar war: Anonymität, ein lebendiges Sozialleben und eine Zukunftsperspektive. Sie sind weg gegangen, um tätowieren zu lernen, bei der Friseurausbildung nicht nur Haarschnitte für Frauen gehobenen Alters machen zu müssen oder in eine lebendige Musikszene eintauchen zu können. Ich bin gegangen, um Internationale Beziehungen zu studieren. Da war klar, das kriege ich in der Lausitz nicht. Und nutzen kann ich es dort auch nicht. Die Region bot mir keine Perspektive.

Jeder, der geht, hinterlässt eine Lücke

 Ich war schon früh politisch engagiert, zunächst in der Geflüchtetenhilfe, später organisierte ich Demonstrationen gegen Neonazis in Bautzen. Das wollte ich nicht aufgeben. Die Neonazis sind schließlich auch immer noch da. Anfangs kam ich häufig nach Hause, um an Treffen teilzunehmen oder Veranstaltungen zu planen. Doch mit der Zeit wurden die Leute, die ich dort kannte, weniger.

 Während die Menschen zu den fremdenfeindlichen Pegida-Demos nach Dresden strömten, brannte in Bautzen der Husarenhof. Das politisierte mich. In so einer Gesellschaft wollte ich nicht leben. Mit 14,15 Jahren hatte ich das Gefühl, wenn ich es nicht anpacke, dann macht es niemand. Das ist der Vorteil in einer Stadt wie Bautzen. Jede einzelne, die sich einbringt, kann eine Wirkung erzielen. Umgekehrt heißt das aber auch: Jeder, der geht, hinterlässt eine Lücke.

 Daraus ergibt sich eine Verantwortung, die unter meinen Freundinnen und Freunden durchaus Thema ist. Die meisten bevorzugen Engagement in der Provinz, wo die eigene Arbeit so dringend gebraucht wird. Wir fühlen uns mit der Region noch immer verbunden und wollen sie ein Stück besser machen.

Blumige Selbstdarstellung nervt

 Das geht natürlich nicht allen so. Einige aus meinem alten Freundeskreis statten der Lausitz nur einen Besuch ab, wenn es sich nicht vermeiden lässt und auch das nur mit einem mulmigen Gefühl. Wir alle haben erfahren, was es bedeutet, in einem Umfeld zu leben, das ein Nährboden für Rechtsextremismus ist. Für uns ist das nicht einfach ein Image, das der Osten Sachsens von irgemdwem aufgedrückt bekommt, sondern erlebte Realität. Wir wissen, dass Fremdenfeindlichkeit in unseren lauschigen Wohnorten immer wieder aufflammen kann und wir finden es unbegreiflich, dass das unter den Teppich gekehrt wird, statt es offen anzusprechen. Mich stört die blumige Selbstdarstellung der Lausitz, die in Imagekampagnen und Rückkehrerwerbung zum Ausdruck kommt. Statt sich als „Unbezahlbarland“ oder Ähnliches anzupreisen, wäre es ehrlicher zu sagen: Wir haben hier Probleme und wir brauchen Euch, um sie zu lösen.

 Die Lausitz wirbt bei Leuten meiner Generation, dass wir zurückkehren sollen. Ich kann damit wenig anfangen. Vielleicht wäre es schlauer den jungen Menschen eine Möglichkeit zu geben, dass sie die Lausitz gar nicht erst verlassen müssen. Dass sie in der Region bleiben können, weil ihr Studiengang auch in Görlitz oder Cottbus angeboten wird. Dass auch Bautzen eine Universität bekommt. Dass es mehr als eine Möglichkeit gibt, einen schönen Abend zu verbringen, und man danach auch noch nach Hause kommt. Dann werden die Versuche der sächsischen und brandenburgischen Dörfer und Kleinstädte, junge Menschen zur Rückkehr in die Lausitz zu bewegen vielleicht tatsächlich Erfolg haben. Dann wäre der Weg zurück kürzer und die Entscheidung leichter.

Hanna Scheudeck...

... 23, ist im Kreis Bautzen aufgewachsen und zur Schule gegangen. Seit 2019 lebt sie in Dresden und studiert Internationale Beziehungen an der Technischen Universität.

Dieser Beitrag...

... erschien am 17.02.2023 in der Neue Lausitz - dem Magazin für tiefgründigem, analytischem und kritischem Journalismus mit Fokus auf die Transformationsprozesse in der Lausitz. Ihr wollt weiterlesen? Alle Infos findet ihr unter Neue Lausitz - Das Leitmedium für den Wandel

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