Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*- und inter*geschlechtliche sowie queere Menschen (LSBTIQ*) leben auch in der Lausitz, sind aber kaum sichtbar.
Der jährliche IDAHIT*, der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Trans*- und Inter*feindlichkeit sollte auch am 17. Mai 2020 Anlass sein, in Bautzen ein Zeichen für Akzeptanz und Vielfalt zu setzen. Aufgrund der Pandemie muss die Veranstaltung als Kooperation des Thespis-Zentrums Bautzen, des Gerede e. V. Dresden und der LAG Queeres Netzwerk Sachsen e. V. nun auf die zweite Jahreshälfte verschoben werden. Auch der 12. Christopher Street Day (CSD) Cottbus & Niederlausitz mit Demonstration und vielen Veranstaltungen kann voraussichtlich erst im September 2020 stattfinden. Solche Events sind insbesondere in einer strukturschwachen Region wie der Lausitz immens wichtig.
LSBTIQ* – Was bedeutet das eigentlich?
Die verschiedenen Buchstaben des sogenannten Akronyms bezeichnen unterschiedliche Gruppen von Menschen. Lesbisch (L) und schwul (S), Homo- und Bisexualität (B) sind für die meisten geläufige Begriffe. Das T bedeutet Trans* und ist eine Selbstbezeichnung für Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem in die Geburtsurkunde eingetragenen Geschlecht übereinstimmt. Weitere Selbstbezeichnungen in dieser Hinsicht sind z. B. transgender, transsexuell oder transident. Auch viele nicht-binäre Menschen, die sich nicht in den Kategorien „Frau“ oder „Mann“ wiederfinden, identifizieren sich als Trans*. Das Gegenteil von Transgeschlechtlichkeit bezeichnet man als Cisgeschlechtlichkeit. Der Buchstabe I steht für Inter* (auch intergeschlechtlich, intersexuell), also für Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung. Eine Einordnung in die Kategorien „männlich“ oder „weiblich“ ist anhand der genetischen, anatomischen oder hormonellen Merkmale nicht eindeutig möglich. Q bedeutet „queer“ und ist die Selbstbezeichnung für diejenigen, die sich im System aus Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit nicht wiederfinden, sich aber auch nicht zwingend eindeutig mit einem der Buchstaben LSBTI identifizieren. Manchmal wird queer auch als Überbegriff für LSBTI verwendet. Das Sternchen * (Asterisk) zeigt an, dass auch alle weiteren möglichen Selbstdefinitionen beachtet werden – denn Sexualität und Geschlechterbilder sind dynamisch, entwickeln sich und sind nicht ein für alle Mal eindeutig fassbar.
Das Problem der Unsichtbarkeit
Unsere Gesellschaft ist durch die Annahme geprägt, es existierten nur (heterosexuelle, cisgeschlechtliche) Männer und Frauen und diese seien klar voneinander zu unterscheiden. Aufgrund dieser Norm sind alle anderen Geschlechtlichkeiten und andere als heterosexuelle Orientierungen kaum sichtbar und oft benachteiligt. LSBTIQ* erleben deshalb mehr psychische, physische, soziale und rechtliche Belastungen und sind einem höheren Risiko ausgesetzt, psychisch oder physisch zu erkranken.
Hinzu kommt, dass LSBTIQ* nicht selten soziale, rechtliche und medizinische Hürden überwinden müssen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Trans*Personen müssen beispielsweise einen langwierigen und teuren Prozess auf sich nehmen, wenn sie ihren Namen und Personenstand ändern möchten. Eine Psychotherapie, mehrere psychologische Gutachten und die abschließende Entscheidung durch das Amtsgericht sind, anders als in vielen anderen Ländern, in Deutschland noch vorgeschrieben.
Die Bedingungen in der strukturschwachen Lausitz stellen queere Menschen und ihre Familien ebenso vor erhebliche Herausforderungen. Zum einen fehlen qualifizierte Therapeut*innen, Ärzt*innen und Berater*innen, die mit LSBTIQ*-Themen vertraut sind, zum anderen gibt es nur sehr wenige Gruppen- und Freizeitangebote, die sich an LSBTIQ* richten.
Die in der Lausitz ansässige Kultur-, Sozial- und Sportlandschaft allgemein bietet nur bedingte Anknüpfungspunkte, weil häufig Kenntnisse über die Bedürfnisse der LSBTIQ*-Zielgruppen und diskriminierende Strukturen fehlen. Die Hürde, bestehende Angebote in Anspruch zu nehmen, ist hoch. Kleine LSBTIQ*-Gruppen und -Initiativen scheitern oft an mangelnder struktureller und finanzieller Förderung und der Angst vor Repressionen.
Viele LSBTIQ* in der Lausitz haben Angst, ihre Identität oder sexuelle Orientierung zu offenbaren. Einige nehmen weite Wege nach Dresden, Cottbus oder Berlin auf sich, um dort andere LSBTIQ*-Menschen kennen zu lernen, Beratung zu erhalten oder unbeschwert in Freizeitgruppen so sein zu können, wie sie sind. Wer nicht mobil ist, lebt hingegen oft versteckt und einsam.
Das führt wiederum zur Überzeugung einiger Lausitzer*innen, es gäbe entweder keine LSBTIQ*-Menschen in ihrer Umgebung oder diese sollten sich „nicht so haben“, Sexualität und Geschlecht seien schließlich Privatsache und müssten nicht thematisiert werden. Wer einmal aufmerksam darauf achtet, wie häufig heterosexuelle Menschen außerhalb des LSBTIQ*-Bereiches über ihre Familien oder Partner*innen sprechen, merkt jedoch schnell, wie zentral und selbstverständlich Geschlechterverhältnisse im Alltag präsent sind, ohne dass es um eventuelle sexuelle Praktiken ginge. LSBTIQ*-Personen ist diese Selbstverständlichkeit oft noch nicht möglich.
Wertkonservative Strukturen
Verlässliche Daten dazu, wie häufig und in welcher Form LSBTIQ* in der Lausitz Diskriminierungen ausgesetzt sind, liegen nur teilweise vor. Für Sachsen gibt es bis heute keine umfassende Lebenslagenstudie. Die Staatsregierung will zumindest eine merkmalsübergreifende Diskriminierungsstudie mit Schwerpunkt LSBTIQ* zeitnah umsetzen. Der für ganz Sachsen repräsentative Sachsenmonitor [Link] zeigt für die Jahre 2016-2018 eine hohe Ablehnung in Bezug auf Homosexualität: Ein Drittel der Bevölkerung stimmt konstant der Aussage zu, Homosexualität sei unnatürlich.
Das Land Brandenburg hat 2018 die Lebenslagenstudie „Queeres Brandenburg“ (Link) veröffentlicht, deren Ergebnisse aufgrund ähnlicher struktureller Gegebenheiten auch auf den sächsischen Teil der Lausitz anwendbar sind. 48% der Befragten gaben an, innerhalb der letzten fünf Jahre Diskriminierung erfahren zu haben. Trans*Personen waren in besonderem Maße (77%) von Ausgrenzung betroffen. Die meisten Diskriminierungen finden in der Familie, im öffentlichen Raum und in der Schule statt. Zwar zeigt die Studie eine steigende Diskriminierungshäufigkeit in den Ballungsgebieten und Städten (53%) im Vergleich zum ländlichen Raum (39%), diese ist jedoch weniger auf die tatsächlichen Erlebnisse zurückzuführen als darauf, dass LSBTIQ* in ländlichen Regionen seltener ihre Identität preisgeben. Das erfreuliche Ergebnis, dass 70% der Brandenburger*innen es begrüßen würden, wenn bei ihnen nebenan ein homosexuelles Paar einziehen würde, vermittelt zwar eine tolerante Grundhaltung, darf aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass queere Menschen im Alltag noch immer Vorurteilen, mangelnder Empathie, Ablehnung und Gewalt begegnen.
Wie viele LSBTIQ* genau in der Lausitz leben, ist nicht bekannt und schwer zu erheben. Verschiedene nationale und internationale Studien lassen den Schluss zu, dass sich ca. 5-10% der Gesellschaft insgesamt innerhalb der Gruppe der LSBTIQ* verorten.
Strukturschwache Regionen wie die Lausitz sind aus genannten Gründen für einige LSBTIQ* weniger attraktiv als große Städte. Deshalb kommt es zu Abwanderungen, insbesondere junger, mobiler und gebildeter Erwachsener aus den kleinstädtischen und ländlichen Räumen, was das Problem der Strukturschwäche weiter verstärkt.
Vereine bieten Beratung, Bildung und Vernetzung
Der Bedarf an Beratung und anderen Angeboten für Lausitzer LSBTIQ* ist hoch. So verzeichnet etwa das Beratungsprojekt „Qu(e)er durch Sachsen“ des Gerede e. V., das seit einigen Jahren aufsuchende Beratung für LSBTIQ* und deren An- und Zugehörige u. a. in den Landkreisen Bautzen und Görlitz anbietet, steigende Zahlen. Allein in der Stadt Bautzen fanden 2019 insgesamt 36 Beratungsgespräche statt, ähnlich viele Termine gab es in Görlitz, darüber hinaus auch in zahlreichen kleineren Orten beider Landkreise. Aufgrund der bestehenden rechtlichen und medizinischen Hürden ist der Informationsbedarf insbesondere bei Trans*-Personen hoch. Weitere zentrale Beratungsthemen sind Vereinsamung, Kontaktsuche zu anderen LSBTIQ* und Coming-Out. Die Ratsuchenden kommen dabei aus allen Altersgruppen. Der Gerede e. V. mit Sitz in Dresden bietet im sächsischen Teil der Lausitz zudem Aufklärungsprojekte an Schulen und Weiterbildungsformate für Fachkräfte in allen gesellschaftlichen Bereichen an.
Das Angebot wird in der Oberlausitz durch die Bildungs- und Beratungsangebote der Aids-Hilfe Dresden e. V. in den Bereichen Gesundheit, Sexualität und Prävention ergänzt, die ebenso über Dresden hinaus agiert. Queeres Engagement von Aktiven vor Ort gibt es beispielsweise in Görlitz. Hier bietet Tierra – Eine Welt e. V. regelmäßig eine Queerlounge für LSBTIQ* zum gegenseitigen Austausch an. Das Camillo Kino greift queere Themen immer wieder in seinem Programm auf.
In der Niederlausitz kann auf die Beratungs- und Bildungsangebote vom Andersartig e. V. und vom Katte e. V. zurückgegriffen werden, die beide in Potsdam ansässig sind, aber Zweigstellen in Cottbus betreiben. Auch der Aids-Hilfe Lausitz e. V. in Cottbus steht mit Rat, Tat und Veranstaltungen zur Verfügung und organisiert gemeinsam mit dem CSD Cottbus e. V. aktuell den 2. Christopher Street Day (CSD) Cottbus & Niederlausitz, der mit vielen Events und Aktionen hoffentlich vom 31.8. bis 12.09.2020 stattfinden kann. Für Lausitzer Studierende ist der BTUQueer – Hochschulstammtisch der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg eine wichtige Anlaufstelle. Zudem findet im Jugendzentrum Glad-House mit der Rainbowparty eine regelmäßige Tanzveranstaltung in Cottbus statt. Außerhalb der Stadt Cottbus sind Angebote aber auch in der Niederlausitz praktisch nicht vorhanden, sodass Interessierte von außerhalb mit langen Wegen rechnen müssen.
Angebote ausbauen, Barrieren senken!
Das strukturelle Defizit ist also trotz punktuell vorhandener Initiativen noch groß. Flächendeckende Angebote über eine psychosoziale Beratung hinaus sind dringend notwendig, um die Lebensqualität von LSBTIQ* in der Lausitz zu verbessern. Gleichzeitig müssen Barrieren für LSBTIQ* durch die lokalen kulturellen, sozialen und sportbezogenen Träger abgebaut werden. Spätestens 2021 werden viele Vereine und Initiativen aufgrund der vermutlich beginnenden Wirtschaftskrise wahrscheinlich von Kürzungen der öffentlichen Förderungen bedroht sein, was die Situation weiter verschlechtern kann. Hier sind Kommunalpolitik und Zivilgesellschaft in der Lausitz gefordert, sich verstärkt für die Belange von LSBTIQ* in der Region einzusetzen und queere Strukturen zu stärken.
Vera Ohlendorf…
… arbeitet als Bildungsreferentin bei der LAG Queeres Netzwerk Sachsen e. V., dem Dachverband der sächsischen Organisationen und Vereine, die sich für die gleichberechtigte Teilhabe von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, trans- und intergeschlechtlichen Personen sowie queeren Menschen in Sachsen einsetzen.