Warum gibt es F wie Kraft? Was ist F wie Kraft? Was könnte es sein? Pünktlich zum neuen Jahr gibt es von Julia Gabler ein paar Antworten und Gedanken.
Für die Antwort muss ich ausholen. Als ich vor fünf Jahren nach Görlitz zog mit meinem Mann – sein neuer Job war der Grund für Görlitz, es gab keinen anderen – war die erste Person auf die ich hier traf, nach dem Vermieter der Ferienwohnung in der Schulstraße, Katrin Treffkorn. Sie kam mit ihren Töchtern auf dem Schlitten daher. Es war Anfang März, es lag noch Schnee auf der Jakobstraße, Ecke Bahnhofstraße – und sie strahlte, als sie uns sah, voller Freude über unsere Ankunft.
Ich war deutlich weniger euphorisch angesichts der grauen Straßenzüge, der tristen Stimmung – auch zwischen meinem Mann und mir. Immerhin: Er musste mich überzeugen, dass ich mich für uns, für mich, für die Familie entschied nach Görlitz zu ziehen. Im Grunde war ich fassungslos.
Aber Katrin hat mich beeindruckt. Das Leuchten in ihre Augen war wie eine Antwort auf meine Skepsis, ob ich hier leben kann: Ja, es ist schön hier! Als wir dann wirklich hergezogen waren, traf ich Katrin häufig und viele andere Frauen, die mich überraschten mit ihrer Verve, ihren klaren Ansichten und ihrer Neugier an mir, an der Region und dem Zusammenleben hier.
Wie viele Abende verbrachte ich im Salü, wie viele Nachmittage saß ich bei selbstgebackenem Kuchen und Holunderlimo in Gärten faszinierender Frauen. Ich entdeckte eine völlig neue Seite an mir – meine Verbundenheit mit anderen Frauen. Die gab es vorher auch, aber eher intellektuell. Im Unimilieu ist die Geschlechterthematik natürlich präsent – die Solidarität der Frauen geht aber häufig im Wettbewerb um Publikationen und im Alltagstrubel unter – aber jetzt fühlte ich die Verbundenheit. Teilten wir nicht dieselbe Lage? Saßen wir nicht im selben Boot: gut ausgebildet, das Landleben genießend und trotzdem fragend, wie wir hier leben können, so dass wir unseren Ansprüchen, unseren drängenden Entwicklungswünschen gerecht werden können und zwar zu einem Lohn, oder anderen Formen der Wertschätzung, die unseren unerschütterlichen Einsatz rechtfertigt. Woher kommt dieser unerschütterliche Einsatz?
Die Soziologin in mir war ergriffen
Leuchtende Augen, skeptische Freiheit und existenzielle Auseinandersetzung schlugen mir entgegen und in mit reifte das Vorhaben zur Lage qualifizierter Frauen zu forschen. Was hat ihnen das Land- und Provinzleben zu bieten? Wie kann es sein, dass die Abwanderung der klugen Frauen beklagt wird und gleichzeitig erhalten die, die hier leben so wenig Aufmerksamkeit, so wenig Bühne?
Und dann traf ich die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Ines Fabisch auf einer Podiumsdiskussion, neben Claudia Muntschick, Ulrike Neumann und Franziska Schubert. Ines Fabisch ist seit über 20 Jahren für Gleichstellungsthemen im Landkreis unterwegs und war total erstaunt, dass einigermaßen junge Frauen über ihr Unbehagen und ihre Begeisterung als Frauen in der Region sprachen. Es dauerte nicht lange und wir entwickelten gemeinsam einen Antrag, bekamen die Mittel aus der Sächsischen Staatskanzlei, um zu forschen.
Anita Kottwitz war gerade in die Oberlausitz gezogen – eine exzellente Quanti-Forscherin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) – eine glückliche Konstellation als sie das Forschungsprojekt mit ihrer Expertise bereicherte. Wir sprachen alle möglichen Leute an, befragten Schülerinnen und Schüler im ganzen Landkreis, luden Männer und Frauen ein, um mit Frauen zu reden.
Unausweichlich: Das Unbehagen
GENDER-Schublade auf – Gabler rein. Zum Glück war ich an dieser Stelle nicht ideologisch unterwegs. Ich suchte nicht das Bekenntnis von Frauen, sondern ihre Erzählungen, ihre Erfahrungen, ihre Wünsche und Perspektiven. In diesen Gesprächen fand ich zu meinem feministischen Bekenntnis. Ja, es war mir wichtiger Frauen sprechen zu lassen als Männer – das klingt dogmatisch, war es aber nicht. Es ging einfach nicht um die männlichen, sondern die weiblichen Erfahrungen in der Region. Auch die der Männer. So vielfältig die Entwürfe der Frauen waren, zwischen hingebungsvoller Mutterschaft, zweifelnder Mütterlichkeit, als Single-Frauen, in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, als Alleinerziehende mit und ohne Partner, als Arbeitnehmerinnen und zivilgesellschaftlich Aktive, so wenig vielfältig waren ihre Strategien im Umgang mit der Gleichgültigkeit oder auch Zurückweisung, die ihnen widerfuhr. Sie haben sich eingeschlossen. Manche im wahrsten Sinne des Wortes.
Ja, es braucht Gespräche. Nicht, damit wir irgendein „weibliches Defizit“ bearbeiten, sondern damit wir die Leerstellen füllen, die der Wegzug vom Land in den letzten Jahrzehnten hinterlassen hat. Damit wir voneinander erfahren, wer hier eigentlich lebt und wie es sich hier eigentlich lebt – was aus unseren Leben geworden ist und noch werden kann.
F wie Kraft ist also eine Metapher, die taugt, um Frauen anzusprechen, ihre Erfahrungen einzubringen, zu erzählen wie es ihnen geht – hier in ihrem Leben in der Oberlausitz.
Die Projektetappen der letzten drei Jahre – Forschen und Erkenntnisse formulieren, Anwenden und Formate entwickeln, möglichst viele unterschiedliche Frauen zusammenbringen aus der Politik, der Regionalentwicklung, der Verwaltung und dem sozialen wie kulturellen Bereich als. Unternehmerinnen ansprechen ebenso wie Angestellte, Studierende und Experimentierende. So vielfältig die Frauen hier in der Region sind – so vielfältig sind auch die Gelegenheiten mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Die Oberlausitz lädt ein umherzuziehen: Jedes F wie Kraft -Symposium ist anders. Jede Veranstaltung fand woanders mit anderen Frauen statt. Mal in alle in die Hochschule einladen wie beim Symposium im Januar 2018, mal das KoLABOR in der Hospitalstraße für Frau Köpping und 30 Frauen aufzuschließen, die ihre Anliegen vortrugen und über weibliche Lebenswelten in Ostsachsen sprachen. Oder im Landratsamt Ergebnisse zu präsentieren und dem Landrat Staunen abzuringen, auf dem Lindenhof mit Frauen aus der Landwirtschaft oder mit den Mitarbeiterinnen im Haus Schminke das Gespräch zu suchen. Im miteinander Sprechen und Zuhören entstehen häufig Anknüpfungspunkte – nicht nur wie es in einem der Websitetexte auf F wie Kraft heißt: Wir sind dein Zuhause … das ist es nicht allein. Weil du hier bist, kann es mein Zuhause werden.
Die Strukturschwäche dieser Region ist möglicherweise nicht in erster Linie ein wirtschaftliches Problem, sondern eine Schwäche gesellschaftlicher Repräsentationen. Wir haben den Befund, dass Frauen, in all ihren Rollen und Positionen – als Arbeitnehmerinnen, als qualifizierte Köpfe, als Mütter und Partnerinnen, als Verantwortungträgerinnen in der Zivilgesellschaft – nicht nur zu wenig wahrgenommen werden, sondern ihnen auch aktiv der Raum verwehrt wird ihre Ideen, Wünsche, ja, ihr Tun für regionale Gestaltungsaufgaben folgenreich zu kommunizieren. Dabei ist Raum wirklich die Ressource, an der uns es am wenigsten mangelt – zumindest in physischer Hinsicht, der gesellschaftliche Raum ist weniger üppig vorhanden. Damit meine ich jene gesellschaftlichen Schnittstellen, an denen Frauen ihre Gestaltungsansprüche artikulieren und umsetzen können.
Nicht, dass ich missverstanden werde: Es gibt viele Aktive, Initiativen und Projekte. Ihnen fehlt aber die gesellschaftliche Einbettung. Der Platz von dem aus sie nicht nur für sich stehen, sondern Ausdruck einer lebendigen Zivilgesellschaft, ziviler Strukturen sind, die sich durch ihre Unterschiedlichkeit gegenseitig halten und stützen und im Zweifel einander verteidigen. Weil es so viele verschiedene Frauen gibt, kann es aus meiner Perspektive, keinen Ausschluss geben: Weder im Alter, noch in der Qualifikation, oder in der Herkunft. Lediglich ein Moment der Verbindlichkeit muss eingegangen werden: Einander wahrzunehmen und anzuerkennen, neugierig zu sein, sich aufzumachen.
F wie Kraft ist also kein Netzwerk, in das man einsteigt und aussteigt, sondern eine Plattform Frauen überhaupt als Frauen zusammenzubringen. Meine Kollegin Merte formulierte es ungefähr so: F wie Kraft ist erstmal nur die Gelegenheit Frauen einzuladen, ausprobieren, wie es sich anfühlt, Teil einer sozialen Gruppe zu sein. Explizit als weiblicher Teil dieser ländlichen Gesellschaft angesprochen zu werden.
Der für diese Region besondere Modus sind die kleinen, analogen Gelegenheiten der Begegnung, damit meine ich wirkliche Anwesenheit – physisch zusammensitzen, sich austauschen, interessiert sein, wie es der anderen ergeht. Erfahrungen, die wir alle kennen.
So wie wir heute bei F wie Feiern zusammengekommen sind, sieht man auch die andere Seite dieses besonderen Modus – nämlich wie die zivilgesellschaftliche und gesellschaftspolitische Repräsentation dieser weiblichen Erfahrungen aussehen kann. F wie Kraft ist kein Karriereportal, keine politische NGO, sondern speist sich aus den Themen, und Handlungen aus den Lebenswelten der Frauen in all ihren Lebensbereichen.
F wie Fragen
F wie Kraft heißt also F wie Fragen: Wie lebt ihr hier? Wie wollt ihr hier eurer Leben leben, verhandeln, überdenken, verbessern? Wie ernst ist es euch mit den gleichen Rechten und Pflichten für alle? Wie läuft‘s in Euren Familien und Partnerschaften? Mit Eurem Chef oder Euren Kollegen? Aber natürlich auch: wie läuft es im Bett bei einer 35jährigen geschiedenen Frau mit zwei Kindern? Wie kriegst Du das alles überhaupt auf die Reihe?
F wie Kraft thematisiert auch die Wahrnehmung des weiblichen Kräftelassens zwischen Arbeiten, Kindererziehung und häufig mehrgleisigem Engagement. Die Wahrnehmung des Kraftaufbringens. Auch hier stimuliert das Fragen Toleranz und gegenseitiges Verständnis. Seid großzügig miteinander! Damit uns auch das gelingt, was diese Region uns üppig anbietet – Natur und Erholung und Entschleunigung. In diesen Projektzyklen habe ich auch ganz gut erfahren, welche Beschleunigung in befristeten Projekten und Parallelhochzeiten steckt. Noch vor 5 Jahren habe ich Katrin Treffkorn entgeistert gefragt, wie sie das alles schafft, in drei Vereinen und Job und Kinder und Freizeit? Heute stecke ich selbst bis zum Hals drin. Warum tun wir uns das an?
Frauen sind die einzige soziale Gruppe in der Oberlausitz, so unsere These, die alle Bereiche regionaler Entwicklung thematisieren und sie nicht nach „Ressorts“ voneinander abkoppeln. Sie machen Schnittstellen sichtbar, die für die Entwicklung der Lebens- und Arbeitsqualität dieser Region nützlich sind: Was hat die Infrastruktur eines Dorfes mit dem Bedürfnis nach außerfamilialer Geselligkeit von Frauen zu tun? Warum leben einige Frauen vom Apel und vom Ei, in bäuerlichen Wirtschaften und geben dafür ihr Leben in der Stadt auf? Oder warum leben so wenige Führungsfrauen in der Stadt – die meisten Professorinnen an der Hochschule Zittau-Görlitz leben nicht in der Oberlausitz, sondern pendeln nach Berlin, Leipzig oder Dresden, mehrmals die Woche! Warum sind Frauen mit drei Kindern unmittelbar durch öffentlichen Nahverkehr in ihren familialen und beruflichen Kapazitäten eingeschränkt?
Der Anspruch gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu schaffen, ist eine trügerische politische Zielstellung – ich möchte nicht fünf Shoppingcenter in Laufweite haben! Aber gleichwertige Lebensverhältnisse für Männer und Frauen auf dem Land könnte es sehr wohl geben. Der Wunsch nach besseren Arbeits- und Entwicklungsperspektiven speist sich aus den Alltagserfahrungen der Frauen. Sie wollen hier leben, weil sie die oben beschriebene Qualität der Nähe genießen, aber sie hadern auch mit den Lebensbedingungen. Häufig folgt aus dieser Nähe nicht die Unterstützung, die ich oben mit Verbindlichkeit bezeichnet habe und die helfen könnte uns ernster zu nehmen, weil wir uns nicht ständig selbst Infragestellen und so auf die Fragen des Gegenübers reagieren können. Und wir einander im Zweifel vor allzu viel Zweifeln bewahren,
Sich auf dieses Wagnis einzulassen und bei Genuss zu wiederholen ist F wie Kraft. F wie feeling, wie Vielfalt. Es zählt nicht, was richtig oder falsch ist, sondern was sich miteinander richtig anfühlt.