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Kohleausstieg und Strukturwandel erforscht aus einer Geschlechterperspektive    

              

Paula Walk, Marius Koepchen und Isabell Braunger

Wir haben uns mit Auswirkungen von Schrumpfungen in der Kohleindustrie auf Frauen und ihrer Rolle in Strukturwandelprozessen beschäftigt. Dabei wurde deutlich, dass insgesamt geschlechterbezogene Daten zu Kohleausstiegsprozessen kaum vorhanden sind und die Datenlage zum Kohleausstieg und Strukturwandel speziell in deutschen Kohleregionen besonders dünn ist. Um diese Forschungslücke zu bearbeiten soll nun der Strukturwandelprozess in der Lausitz aus einer Geschlechterperspektive analysiert werden. 

In der Diskussion um den Kohleausstieg und in den ihn begleitenden strukturpolitischen Maßnahmen liegt der Fokus auf den mehrheitlich männlichen Arbeitern in der Kohleindustrie. Dahingegen bleiben die Auswirkungen auf Frauen und ihre Rolle im Strukturwandelprozess oft unsichtbar. Unsere Untersuchungen zeigen indes auf, dass Frauen von historischen Strukturwandelprozessen in Kohleregionen anders betroffen waren und anders politisch aktiv wurden als Männer (Braunger und Walk 2022; Walk et al. 2021).

Die Bekämpfung der Klimakrise erfordert die Umstrukturierung des Wirtschafts- und Energiesystems. Zu dieser Umstrukturierung gehört der Ausstieg aus der Kohle als sehr wichtiger Schritt, denn es gibt günstige erneuerbare Alternativen für diese klimaschädlichste Form der Energieerzeugung. Die dadurch entstehenden Veränderungen finden nicht im luftleeren Raum statt, sondern stehen in Wechselwirkung mit bestehenden Machtungleichheiten. Genauer gesagt, betreffen sie verschiedene gesellschaftliche Gruppen (z. B. Männer und Frauen) in unterschiedlicher Weise, weil sie über unterschiedliche Ressourcen (Anerkennung, Finanzkraft, Privilegien usw.) verfügen. Außerdem haben die verschiedenen Gruppen nicht die gleichen Möglichkeiten, sich an Strukturwandelprozessen zu beteiligen.

Titelbild Bärwalder

Bärwalder See - Symbol für den Wandel in der Lausitz (Foto: Marie Melzer)

 Häufig werden nur die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen von Strukturwandelprozessen (z.B. Beschäftigenzahlen) für ganze Regionen analysiert ohne dabei soziale Aspekte zu berücksichtigen (z.B. Drogenkonsum, häusliche Gewalt). Vor allem die in der Kohleindustrie beschäftigten Männer profitieren von diesem Fokus, während die negativen Auswirkungen auf Frauen in der Region ignoriert werden. Das kann zur Reproduktion bestehender Ungerechtigkeiten zwischen Frauen und Männern führen. Wenn politische Maßnahmen an die verschiedenen Bedürfnisse der Menschen angepasst sind, kann die Energiewende eine Chance für die Gesellschaft sein, bestehende ungerechte Machtverhältnisse zu überwinden, anstatt diese Strukturen zu reproduzieren.

Forschungslücke: die Rolle der Frauen im Strukturwandel in der Lausitz

 Zur Rolle von Frauen im Strukturwandelprozess in deutschen Kohleregionen gibt es kaum Forschung. Bei unserer Recherche kamen wir auf lediglich 6 Publikationen für die Lausitz. In Rapportbuch: Frauen im Kraftwerk und in der Kohle 1957 bis 1996. beschäftigen sich Petra Clemens und Simone Rauhut damit, wie Frauen von stark sinkenden Beschäftigtenzahlen in der Kohleindustrie nach der Wiedervereinigung betroffen waren. Besonders die Positionen in den Kraftwerken, die in der DDR meist von Frauen ausgeübt waren (insbesondere der als Maschinistin), erfuhren eine Abwertung. Dies führte dazu, dass Frauen schneller als Männer ihren Job verloren. In Gewinnerinnen und Verlierer. Strukturbrüche auf dem Arbeitsmarkt im Transformationsprozess am Beispiel der Stadt Cottbus – eine erste Analyse. argumentieren Heike Jacobsen und Andrea Winkler, dass das auch damit zusammenhing, dass Frauen durch ihre familiären Verpflichtungen als nicht so attraktive Arbeitnehmerinnen galten. Es ist naheliegend, dass diese Benachteiligung von Frauen insbesondere mit den patriarchalen Geschlechtervorstellungen verbunden war, die in Westdeutschland noch stärker ausgeprägt waren. Darüber hinaus waren Frauen von der schnellen Abwicklung der Textilindustrie stark betroffen. Männer haben schneller wieder Jobs z.B. in der Rekultivierung der ehemaligen Kohleminen bekommen. Im Laufe der Zeit haben Frauen dann insbesondere in Behörden und im Dienstleistungssektor wieder Arbeit gefunden. Junge Frauen zeigen jedoch eine höhere Abwanderungsbereitschaft als Männer im gleichen Alter, weil sie nicht genügend attraktive Ausbildungsmöglichkeiten im Raum Cottbus vorfinden. Dieses Phänomen, dass Frauen sich weniger mit der Lausitz identifizieren und eher bereit sind aus der Lausitz weg zu ziehen bleibt bestehen, wie auch der Lausitz Monitor 2021 zeigt.

Tine Jurtz Fotografie 2022 05 2503s

Autorin Paula Walk

 

Frauen im Strukturwandel in Großbritannien und den USA: Was können wir daraus lernen?

Der Großteil der von uns gesichteten wissenschaftlichen Literatur bezieht sich auf die Strukturwandelprozesse in Kohleregionen in Großbritannien und in den USA (Braunger und Walk 2022, Walk et al. 2021).

Bei diesen zwei Strukturwandelprozessen gab es viele Parallelen in Bezug auf die Auswirkungen auf Frauen. Es kam in beiden Ländern zu einer Zunahme der Erwerbstätigkeit von Frauen, insbesondere im Dienstleistungssektor. Diese Beschäftigung war meist schlecht bezahlt und prekär. Dennoch verschaffte sie den Frauen eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit. Trotz der Zunahme der Lohnarbeit, waren die Frauen nach wie vor auch hauptsächlich für die Sorgearbeit zuständig, was ihre Gesamtarbeitsbelastung erhöhte. In den ehemaligen Kohleregionen führte der Kohleausstieg teilweise zu einer Identitätskrise. In einigen Veröffentlichungen wurde berichtet, dass vor allem Frauen viel emotionale Arbeit leisteten, um diese Krisen zu lindern, soziale Netzwerke aufrechtzuerhalten und den Verlust sozialer Einrichtungen (wie z. B. früher von der Kohleindustrie finanzierte Jugendclubs) zu kompensieren. Der Verlust des Arbeitsplatzes und der Identität der ehemaligen Bergleute und die neue Rolle der Frauen als Hauptverdienerinnen führten auch zu Konflikten innerhalb der Familien.

Tine Jurtz Fotografie 2022 05 9259s

Autor Marius Koepchen

Was den Beitrag der Frauen im politischen Prozess rund um den Kohleausstieg angeht, so sind die beiden Fallstudienländer, Großbritannien und die USA, sehr unterschiedlich. Die Literatur über Großbritannien konzentriert sich hauptsächlich auf die Rolle der Frauen bei Bergarbeiterstreiks. Sie wollten die Kohlearbeiter in ihrem Bemühen unterstützen, so viele Kohlebergwerke wie möglich vor der Schließung zu bewahren. Weil für sie der Zugang zu wichtigen Organisationen, insbesondere zu den Gewerkschaften, weitgehend verwehrt war, gründeten sie ihre eigenen Organisationen, die landesweit vernetzt waren und viel Widerhall in den Medien fanden. Die Literatur über die USA bezieht sich vor allem auf eine Kohleregion, die Appalachen, und behandelt die Rolle der Frauen in Anti-Kohle Bewegungen. Diese gewannen an Bedeutung, als die umweltschädliche Bergbaumethode des Mountain Top Removal[1] sich verbreitete. Die Proteste wurden meist von Frauen angeführt. Sie wurden von dem Wunsch angetrieben, ihre Heimat zu schützen, während Männer eher davor zurückschreckten, in dieser Bewegung aktiv zu werden, weil sie emotional stärker mit der Kohleindustrie verbunden waren.

Handlungsempfehlungen für einen geschlechtergerechten Strukturwandel

Um Strukturwandelprozesse geschlechtergerechter zu gestalten, haben wir aus unseren Untersuchungen folgende erste Empfehlungen abgeleitet:

A) Die Arbeitsbedingungen in Sektoren, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten (Pflege, Dienstleistungssektor usw.), sollten nicht nur, aber besonders während des Kohleausstiegs verbessert werden, da die Entwicklung des Dienstleistungssektors eine wichtige wirtschaftliche Säule für ehemalige Kohleregionen sein kann.

B) Umschulungs- und Weiterbildungsangebote sollten nicht nur für Männer, die in der fossilen Industrie beschäftigt sind, zugänglich und auf sie zugeschnitten sein, sondern auch Frauen in den vom Strukturwandel betroffenen Regionen ansprechen.

C) Sorge- und emotionale Arbeit im Rahmen von Strukturwandelprozessen sollte stärker gewürdigt und die Finanzierung von sozialen und kulturellen Einrichtungen sichergestellt werden.

D) Selbsthilfegruppen oder andere Formen der psychologischen Unterstützung für ehemalige Bergleute/Männer zur Bewältigung des Verlustes des (sehr identitätsstiftenden) Arbeitsplatzes sollten gegründet und gestärkt werden.

E) Die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung mit Pflege- und Betreuungseinrichtungen sollte sichergestellt werden. Dies ist Voraussetzung für die Beteiligung von Frauen an Strukturwandelprozessen, weil sie ungerechterweise immer noch den Hauptteil der unbezahlten Sorgearbeit übernehmen.

F) Die Interessen von Frauen sollten besser institutionalisiert werden, z.B. durch die Sicherstellung einer paritätischen Vertretung von Frauen in Entscheidungsprozessen (Expert*innengremien, Kommunalpolitik, etc.).

https://lausitz-monitor.de/artikel/die-sicht-der-juengeren-frauen-auf-die-lausitz/

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Im Zuge des 2020 verabschiedeten Strukturstärkungsgesetzes, das mit einem 40 Milliarden Euro schweren Investitionsprogramm für die Kohleregionen verbunden ist, stellt sich die Frage, wie diese Mittel eingesetzt werden können, damit die Lausitz gerade für (junge) Frauen wieder eine attraktivere Region wird. Dieser Frage möchten wir in unserem nächsten Forschungsprojekt nachgehen. Zum einen möchten wir (junge) Frauen befragen, welche politischen Maßnahmen ihre Lebensqualität in der Region verbessern würde. Zum anderen untersuchen wir die politischen Prozesse in denen entschieden wird, welche Projekte mit den Strukturwandelgeldern gefördert werden. Hier ist insbesondere von Bedeutung herauszufinden, inwiefern Frauen gleichberechtigt beteiligt sind. Die Geschlechterperspektive auf den Strukturwandel geht aber über die konkreten Bedarfe und Interessen von Frauen hinaus. Eine feministische Perspektive auf den Strukturwandel bedeutet, auch kritisch zu beleuchten, welche Bereiche des Lebens als relevant für den Strukturwandel angesehen werden. Welche Bedeutung wird in offiziellen Dokumenten zum Strukturwandel (wie beispielswiese im Brandenburger Lausitzprogramm 2038) den Wirtschaftsbereichen Care, Pflege und Bildung zugesprochen? Inwiefern wird unbezahlte Sorgearbeit, emotionale und kommunale Arbeit als wichtiger Teil im Strukturwandel anerkannt? Sorgearbeit bleibt oft unsichtbar und wird für selbstverständlich genommen. Selbst die Menschen, die diese Arbeit leisten, wissen oft nicht, wie zentral sie für unsere Gesellschaft ist.

Die Sichtbarmachung von patriarchalen Strukturen im Lausitzer Strukturwandel soll einen wichtigen Beitrag auch für andere Kohleregionen leisten, die den Ausstieg erst noch vor sich haben. Sie sensibilisiert dafür und zeigt, wer im Strukturwandelprozess Entscheidungen trifft und wessen Bedürfnissen und Interessen nachgegangen wird – und welchen nicht. Wenn die Geschlechterperspektive mitgedacht wird und der Umbau des Energiessystems explizit genutzt wird, um bestehende Ungleichheiten abzubauen, kann die Transformation des Energiesystems nicht nur zu einer umweltschonenderen, sondern auch zu einer sozialeren und feministischeren Wirtschaftsweise beitragen.

Paula Walk, Marius Koepchen und Isabell Braunger...

 ... sind Wissenschaftler*innen an der Europa Universität Flensburg und der TU Berlin. Sie beschäftigen sich mit der nachhaltigen Transformation des Energiesystems. Dabei legen sie in ihrer Forschung insbesondere einen Fokus darauf, wie diese Transformation einen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit und insbesondere Geschlechtergerechtigkeit leisten kann.

Die Fotos der Autorinnen...

... sind entstanden auf der F wie Kraft - Veranstaltung "Frauen.Machen.Lausitz" am 7. Mai 2022 in Altdöbern - vielen Dank an Tine Jurtz!

Literatur 

Braunger, I./ Walk, P. (2022): Power in transitions: Gendered power asymmetries in the United Kingdom and the United States coal transitions. Energy Research & Social Science 87: 102474. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2214629621005612

Clemens, P./ Rauhut, S. (1999): Rapportbuch: Frauen Im Kraftwerk Und in Der Kohle 1957 Bis 1996.

Jacobsen, H./Winkler, A. (2011): Gewinnerinnen und Verlierer. Strukturbrüche auf dem Arbeitsmarkt im Transformationsprozess am Beispiel der Stadt Cottbus – eine erste Analyse. Lehrstuhl für Wirtschafts- und Industriesoziologie, BTU Cottbus

Walk, P./ Braunger, I./ Semb, J./ Brodtmann, C./ Oei, P./Kemfert, C. (2021): Strengthening Gender Justice in a Just Transition: A Research Agenda Based on a Systematic Map of Gender in Coal Transitions. Energies 14: 5985. https://doi.org/10.3390/en14185985

 

[1] Beim der als besonders umweltschädlich eingestuften Kohleabbau Methode „Mountain Top Removal“  werden die Spitzen von Bergen abgetragen, um die Kohle freizulegen.

 

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