Den Tag der Pflege wollen wir von F wie Kraft nutzen, um an unsere Recherchereise durch die Lausitz zu erinnern. Vor über einem Jahr, noch bevor eine Pandemie sie in den Mittelpunkt rückte, recherchierten Jenny Bartel und Pauline Voigt zu einer der wichtigsten Berufsgruppen in der Lausitz: die Pflegerinnen. Nicht nur im Privaten übernehmen Frauen den Großteil der Sorgearbeit. Im Pflegesektor sind über 85% der Beschäftigten weiblich. Der Strukturwandel ist eine passende Gelegenheit, um in einer alternden Region ins Gespräch zu kommen, über die Bedingungen, Beteiligungen und Perspektiven insbesondere der Altenpflegerinnen.
Im Rahmen der ProduzentinnenTOUR sprachen wir mit Expertinnen und Pflegerinnen. Schon hier wird deutlich: Wer sichtbar über das Thema Pflege spricht, praktiziert sie nicht. Neben Expertinnen aus Gewerkschaft, Sozialplanung und Wirtschaftsförderung sprachen wir mit drei Pflegerinnen, die namentlich nicht genannt werden wollten. Sie aber waren es, die uns eine Welt vor Augen führten, die mitten in der Pandemie ins gesellschaftliche Blickfeld geriet und uns immerhin Applaus abrang. So zynisch die Geste der applaudierenden Menschen auf den Balkons hier und da auch kommentiert wurde, sie drückt das unbehagliche Verhältnis zu den professionellen Pflegekräften aus: Wir müssen begeistert sein, dass sie sich tagtäglich bereit erklären für einen Niedriglohn Jene zu pflegen, die dank fortgeschrittener medizinischer Standards noch leben können, es aber nicht mehr schaffen sich selbst zu versorgen. Und dann doch ihren letzten Lebensabschnitt dort verbringen, wo viele von ihnen nie landen wollten.
Es ist erstaunlich, dass die meisten Pflegerinnen sowohl den Familienangehörigen wie den Bewohnerinnen eines Altenpflegeheimes so viel Lebensfreude entgegenbringen, als wöllten sie das Unausweichliche demonstrativ beschwichtigen: die Angehörigen von der Last des schlechten Gewissens befreien und den Pflegebedürftigen das Gefühl austreiben, abgestellt worden zu sein.
So wie das Sterben zum Altern, so gehört das Begleiten der Sterbenden wie der weiter Lebenden zum Alltagsgeschäft der Pflegerinnen. Neben dem Heben und Legen, Wenden und Füttern, Waschen und Karten spielen, Tabletten geben und Witze erzählen, Trinkmengen abfüllen und Windeln entsorgen, Lesen und Kämmen, Cremen und Wickeln, Protokollieren und Telefonieren, Erklären und Bitten, Berücksichtigen und Sorgen, scheinen sie nie zu vergessen, wie außergewöhnlich und sensibel dieser Abschnitt für alle Beteiligten ist. UND DAS ALLES JEDEN TAG FÜR 2.500 brutto, wenn’s gut läuft und sie bereit sind, Vollzeit zu pflegen. Deswegen müssen wir applaudieren.
Auch unsere Recherchezeit war begleitet von einer gewissen Scham. Nicht nur die besonderen Herausforderungen der Pandemie waren schuld, dass wir einen riesigen Bogen machten, um irgendwie in Kontakt mit Pflegerinnen zu kommen. Auch die Erkenntnis, dass professionelle Pflege vollen Einsatz verlangt und oft im Verborgenen stattfindet. Leider konnten wir pandemiebedingt nicht unserem aufsuchenden Ansatz folgen und mit den Pflegerinnen in ihrem Berufsumfeld sprechen, wo Knappheit (Zeit, Geld, Personal) herrscht, und der betriebsbedingte Stress natürlich Vorwürfe und Vorhaltungen produziert: bei den Angehörigen, den Pflegebedürftigen und den Pflegerinnen. Die körperliche Belastung gepaart mit psychischem Stress führen zu einer begrenzten Verweildauer in diesem Beruf. Da klingen die Durchhalteparolen der Bundespolitikerinnen zum Tag der Internationalen Pflege fast frech: mehr Zeit für Selbstverwaltung und Interessenorganisation kann unter den bestehenden Bedingungen kaum gelingen. Denn, das wissen alle, bevor eine Pflegekraft auf die Straße geht, kümmert sie sich lieber ein paar Minuten länger um ihren Schutzbefohlenen.
Mit dem Fokus auf Gesundheitswirtschaft und dem Ausbau der Ausbildungs- und Studiengänge im Pflege- und Managementbereich als Zukunftsfelder im Strukturwandel der Lausitz sind wichtige Schritte bereits getan; wünschenswert wäre, wenn die Chance genutzt würde, die erfahrenen Pflegerinnen aus der Region am ökonomischen Aufwärtsprozess teilhaben zu lassen oder ihnen Unterstützung durch fachlich versiertes Personal zu ermöglichen - das wünschen sich unsere Gesprächspartnerinnen nämlich.
Julia Gabler…
… ist Görlitzerin, Dozentin an der Hochschule Zittau/Görlitz, Autorin und Initiatorin des Netzwerkes F wie Kraft.