Über die Tradition des Hexenverbrennens und eine andere Art, die Walpurgisnacht zu zelebrieren
Oh, wie schön ist es zu fliegen
Um zwei Uhr in der Früh’.
Um zwei Uhr in der Früh’
Oh, wie schön ist es zu fliegen!
(Liedtext von „la bruja“, Eugenia León)
Es ist der Abend zum ersten Mai. Jetzt ist es abends wieder länger hell. Endlich trifft man sich nicht nur punktuell bei der Bäckerei, sondern kommt draußen auf der Straße wieder zusammen. Auf diesen Moment haben alle gewartet! Der Frühling steht schon in der Blüte und die Sonnenwärme ist sogar auf den Nasenspitzen bemerkbar. Gemeinsam als Dorfgemeinschaft in der Sonne zusammen zu sein, das ist gesellschaftlicher Kitt für das ganze Dorf. So bunt die Lausitz im Frühling aufblüht, so divers sind auch ihre Bräuche. Jährlich finden am 30. April in zahlreichen Dörfern Feste statt, bei denen ein großes Feuer angezündet wird. Die Tradition trägt in vielen Dörfern seit Jahren den Namen „Hexenbrennen“. Es gibt Bratwurst und Bierchen von der Freiwilligen Feuerwehr und dann das Riesenfeuer. Es ist nicht irgendein Feuer, sondern eine wirklich feurige Angelegenheit. Auf den großen Holzhaufen ist oftmals eine Hexenfigur draufgesteckt. Und diese Hexe soll dann auch mit dem Feuer in Flammen aufgehen. Was hat die Hexe mit der Bratwurst und der Nacht des 30. April eigentlich zu tun?
In diesem Artikel gehen wir dem Brennen der Hexen am 30. April auf die Spur. Warum soll gerade eine Frauen*figur auf dem „Scheiterhaufen“ brennen? Was zählt ist, dass das Dorf zusammenkommt. Aber muss dafür eine Hexe angezündet werden?
Die Hexe war’s – und dafür soll sie brennen
In Göda bei Bautzen wird im theatralischen Erzählen die Hexe angeklagt und muss im Feuer büßen. „Die Hexe war‘s – und dafür soll sie brennen“ (Sachsenhits, 2011). Ich frage mich, was hat sie denn verbrochen? Ich habe nachgeforscht und bin auf viele Geschichten über den 30. April gestoßen. Zum Beispiel wurde in der nord- und mitteleuropäischen Tradition am 30. April die Heiligsprechung der heiligen Walpurga gefeiert. Und das sogar bis ins Mittelalter. Auch bekannt als Tanz in den Mai, der als moderne Feierlichkeit privat und kommerziell den 1. Mai zum arbeitsfreien Feiertag gemacht hat. Hexenbrennen, Tanz in den Mai, Walpurgisnacht oder auch Beltane zeigen uns viele Perspektiven auf, die bei dem Frühlingsfest in der Nacht vom 30. April in den 1. Mai Bedeutung haben. Einer der Bräuche besagt, dass der Gang zwischen zwei Walpurgisfeuern eine Reinigung ist. Die Wurzeln dieser Überlieferung weisen auf die Bedeutung der Walpurga hin, die an Walpurgis als Schutzheilige für Seuchen und Krankheiten angerufen wurde. Das sind doch eigentlich sehr positive Blickwinkel auf die Walpurgis, die als Hexe auf dem Feuer verbrannt werden soll!
Eine Schutzpatronin zu verbrennen, ist das nicht sogar gefährlich, wenn es diese nicht mehr gibt? Wer soll dann für den Schutz vor Krankheiten und Seuchen angerufen werden? Vor allem zu Zeiten von COVID-19?
Historiker*innen erklären, dass die Umdeutung der Bräuche auf die rigorose Christianisierung zurück geht, die dazu führte, dass die alten heidnischen Bräuche verdammt wurden. Wissenschaftler*innen haben sogar Quellen über matriarchalische Gesellschaftsstrukturen im ländlichen Brauchtum gefunden. Inwieweit werden patriarchale Strukturen reproduziert, wie zum Beispiel bei Aussagen wie „Und nun macht das Feuer an, wie stets unsere Väter es auch getan“ (Sachsenhits, 2011)? Können die Wissenschaftler*innen Antworten bezüglich der negativen Sicht auf die Schutzpatronin und auf den frauenfeindlichen Ansatz des Hexenbrennen geben?
Die Ursprünge der Walpurgisnacht der nord- und osteuropäischen Tradition sollen im Harz liegen. Aus der vorchristlichen Zeit gibt es Überlieferungen, dass in der Harzregion ein Frühlingsfest als ein Freudenfest zum Ende des Winters gefeiert wurde. Mit Verkleidung und Masken wurden die Wintergeister vertrieben. Und dazu wurde auch ein großes Feuer entfacht. Vor mehr als 1000 Jahren wurde dieses bedeutsame Fest mit der Christianisierung verändert. Der Name Walpurga, deren Leben in keinem Zusammenhang mit Hexen und dem Teufel stand, bezieht sich für die Harzer auf die heilige Walpurga, die sie zur Schutzpatronin der Seefahrt ernannten (Harzlife, 1999-2020). Also wieder die Frage, warum die Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrennen muss? Marie Hecht (2019) schreibt über die Legitimation in der frühen Neuzeit, in der rund 60.000 Hinrichtungen von sogenannten Frauen* mit Kräuterwissen allein im europäischen Raum stattgefunden haben. Bereits in den 70er Jahren versuchte die Frauenbewegung den Begriff „Hexe“ wieder positiv zu besetzten. Wie kann dem Anliegen symbolischer Hinrichtungen im Rahmen des „Hexenbrennens“ Gehör vermacht werden?
Hauptschurkin war die ungehorsame Ehefrau
Vandana Shiva (2010:21) benennt die Hexenverfolgung als ein Auslöschen von medizinischem Wissen über das Frauen* verfügt haben. Neben der Überlieferung, Walpurgis der Schutzpatronin, ist der 30. April als Beltane (Fruchtbarkeitsfest) zum Sommeranfang in Irland bekannt. Der Winter wird endgültig verabschiedet und auf den Feldern sprießt es schon oder es wird fleißig gesät. Beltane ist das Fest der Lebensfreude und der Fruchtbarkeit, das dafür sorgt, dass das Leben weiter bestehen kann. Wenn wir weiter forschen, wird das Fruchtbarkeitsfest auch als Geschlechtsakt der Natur beschrieben. Es ist regelrecht beobachtbar wie die Blüten und Blätter aus den Knospen explodieren. Der Geschlechtsakt wurde unter den Einflüssen der katholischen Kirche, zumindest vor der Ehe, als Sünde, also als etwas Verbotenes deklariert – und bis heute werden Frauen* dafür verurteilt, wenn sie eine Abtreibung vornehmen möchten. Wenn ein Rezept mit dem Kräuterwissen der Hebammen zur Abtreibung gemischt wurde, dann führte dies zur Todesstrafe. Hier griff das römische Recht der katholischen Kirche. Bis heute besteht der feministische Kampf darin, dass jede Frau* ein Recht hat, über den eigenen Körper zu entscheiden. #MyBodyMyChoice weist darauf hin, dass jede Frau* selbst entscheiden kann, ob sie einen Schwangerschaftsabbruch aus welchen Gründen auch immer vornimmt. Schon der Slogan der feministischen Kämpfe in den 70er Jahren «Wir sind die Enkelinnen der Hexen, die ihr nicht verbrennen konntet» spricht von der Kritik an patriarchalen Strukturen. Die Domestizierung der Frauen* in Europa im 16. und 17. Jahrhundert führte zur Abwertung der Frau* als Arbeitskraft und ihre Autonomie gegenüber den Männern wurde abgeschlagen.
„Frauen wurden beschuldigt, unvernünftig, eitel, wild und verschwenderisch zu sein. In besonderem Maße kritisiert wurde die weibliche Zunge, das Instrument der Aufsässigkeit. Die Hauptschurkin war jedoch die ungehorsame Ehefrau“ (Frederici, 2015:129). Hier finden wir Erklärungen für die Abnahme der Frauenrechte im privaten und öffentlichen Raum und Verurteilungen Frauen* gegenüber. Silvia Frederici beschreibt in ihrem Buch „Caliban und die Hexe“ (2015), weshalb die Körperpolitik grundlegend für eine positive Aufwertung des weiblichen Körpers ist. Für den Aufbau der kapitalistischen Gesellschaft steht die Förderung des Bevölkerungswachstums als Reproduktion von Arbeitskräften im Vordergrund. Daraus erklärt sich, warum sich der Frauen*körper als Reproduktionsmaschine und zur Domestizierung angeeignet wurde. In einer Gesellschaft, in der Frauen* die sozialen Drähte zusammenhalten, gehört aufgrund dieser historischen Verflechtungen zu der Entscheidung für sich selbst wirklich viel Mut. Bis heute funktioniert das Vorurteil, dass Hexen böse sind – ein Bild, das bis heute fortwirkt und selbstbewusste und wissende Frauen* negativ darstellt. Dies unterstützt die bisher patriarchale Machtstellung in der Gesellschaft. Und umso komplexer sind die Memorien, Verstrickungen und ja, auch Verurteilungen, wenn eine Hexenfigur, eine Hebamme, eine Walpurga an Beltane einfach auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden soll.
Ein Dorf in der Lausitz verarbeitet dieses Thema besonders kreativ
In Großhennersdorf trägt das lebensfrohe Spektakel am 30. April den Namen „Walpurgis“. Dort gibt es ein magisches Kinder- und Familienprogramm mit Hexenküche. Initiiert wurde diese besondere, mittlerweile schon seit mehr als 25 Jahren gefeierte Tradition von Mechthild Roth, der Leiterin der Theaterpädagogischen Werkstatt des soziokulturellen Vereins Hillersche Villa e. V. in Zittau. Mechthild erzählt mir über die feurigen Walpurgis-Feierlichkeiten in Großhennersdorf.
Um 17.17 Uhr werden in Großhennersdorf auf besondere Art und Weise die Besen geschwungen. Gemeinsam mit einer Gruppe von Ehrenamtlichen wurde für den 30. April alles geplant, vorbereitet und mit der freiwilligen Feuerwehr und dem Karnevalsclub koordiniert. Anliegen in Großhennersdorf ist es, am 30. April keine Hexe zu verbrennen. Mechthild ist damit vor 25 Jahren an die Feuerwehr herangetreten. Und sie konnten sich gemeinsam darauf einigen, den Themen rund um „Hexen“ Sichtbarkeit zu geben. In Großhennersdorf werden Bratwürste und Bier verkauft, ohne dass eine Hexe aufgrund eines Urteils auf den Scheiterhaufen kommt. Das erwarten die Menschen, die hier zum Fest kommen, auch gar nicht. Die Besucher*innen kommen auf unterschiedlichen Wegen zum bunten Mitmach-Angebot für Groß und Klein. Geboten sind vielfältige Attraktionen wie Schminken und Kostümgestaltung. Friseurinnen vom örtlichen Salon Dutschke sorgen für ausgefallene Frisuren. Verkleiden mit einem selbst gestalteten Kostüm gehört zum feurigen Fest, sowie Musik der “Saltarello“ Frauen*band. Nicht zu vergessen ist das Bauen von Krachinstrumenten für den Umzug und die Hexenküche. Auch kreatives Handarbeiten wie Filzen und Figurenbau dürfen nicht fehlen. Wer will, kann sich seinen eigenen Besen binden und damit im Hexenparcours das Fliegen trainieren.
Sonst wäre das mit dem Hexenfeeling nur halb so wahrhaftig. Höhepunkt ist die zuvor einstudierte Performance. Zu guter Letzt wird von der freiwilligen Feuerwehr ein wunderschönes großes Feuer entfacht. Karnevalsclub und Sportverein beteiligen sich mit Tanzeinlagen und helfen tatkräftig beim Getränkeverkauf. Senior*innen aus dem Ort verwöhnen die Gäste mit Selbstgebackenem. Hier verdient eigentlich niemensch Geld. Im Mittelpunkt steht die Beteiligung. Es geht darum, als Dorf ein Event gemeinsam zu gestalten. Diese besondere Art und Weise, die Walpurgisnacht zu feiern, ist einmalig in der Lausitz. Und das verspricht einen großen Zulauf. Die Rauchzeichen wurden vernommen und ja, es hat sich herumgesprochen. Das Hexenfest in Großhennersdorf ist etwas Besonderes und hebt sich von den üblichen Festen ab. Vor allem das Programm, welches von einem eingespielten Team im Detail ausgetüftelt und vorbereitet wird, hat sich bewährt. Zielgruppe ist die ganze Familie!
Hier zählen ein kreativer Geist und die Motivation der Besucher*innen. Schließlich ist die Vorbereitung auf ehrenamtlicher Basis, neben Beruf, Kinderbetreuung, Haushalt etc. ein großer Aufwand. Das Team besteht zufälligerweise nur aus Frauen*. Oder gibt es keine Zufälle? Das weiß vielleicht nur die Walpurga…
Auf jeden Fall ist es viel und unbezahlte Arbeit von Personen, die als Care-Arbeit meistens sowieso unbezahlt von Müttern und Frauen* geleistet wird. Mechthild erzählt: „Als wir damals angefangen haben war es überhaupt nicht üblich, dass am 30. April was gemacht wird. Wir – ein paar Frauen* und Mütter – hatten einfach Lust, was Verrücktes zu machen. Ein wildes chaotisches Fest zu feiern. Wir haben nicht viel nachgedacht, wir haben einfach gemacht!“ Und was die Frauen* vor über zwanzig Jahren geschaffen haben, hat heute mit der grundlegenden wichtigen Umdeutung des Verbrennens von Hexen zu tun. Bier und Bratwurst (mittlerweile auch beliebte, vegetarische Grillspieße) als Einnahmequelle bleiben bestehen. Und gleichzeitig wurde das Gedenken an Walpurga mit einer ganz neuen Metapher gefüllt. Hier wird die Initiative der Frauen* sichtbar. Eine grundlegende kulturelle Arbeit für die Region gewinnt an Bedeutung! Das Hexenfest in Großhennersdorf für Groß und Klein, das ist also ganz fein.
Ob das Zurückbesinnen auf die Bedeutung des 30. April wohl weitere Vereine und Dörfer zu einem neuen Umgang mit ihren Traditionen inspiriert? Vielleicht werden die Feuer Walpurga zukünftig ehren und neue, kreative Möglichkeiten des Zusammenlebens in der Dorfgemeinschaft geschaffen – von Frauen*, Männern und auch Menschen diverser Geschlechter. Vielleicht gemeinsam mit ein paar Hexen, die womöglich in der Lausitz unterwegs sind?
Quellenangaben:
Frederici, Silvia (2015)
Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation. Mandelbaum, Budapest.
Harzlife. (1999-2020)
Walpurgisnacht. Geschichte und Hintergrundwissen.
https://www.harzlife.de/event/walpurgis-info.html
Hecht, Marie (2019)
Wer hat die Macht. Am Donnerstag ist Halloween. Eine Suche nach den Hexen unserer Zeit.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1127898.halloween-wer-hat-die-macht.html
Leon, Eugenia (2015)
„La Bruja“
https://www.youtube.com/watch?v=IEkbsgcoys4
Sachsenhits, Filmproduktion & Medienverlag , Niesky
www.sachsenhits.com Kanal: Bautzen entdecken (2011)
https://www.youtube.com/watch?v=FRlmUA-cLS8
Shiva, Vandana (2010)
Staying Alive. QOman, Ecology and Survival in India. Woman Unlimited. Neu Delhi.
Liviana Bath
… ist Sozial- und Kulturanthropologin und studierte im M.A. Genderstudies. Sie lebt zwischen dem Dreiländereck (PL, CZ und D) in Zittau und in Berlin. Als Referentin der machtkritischen Bildungsarbeit, Theaterpädagogin und Autorin arbeitet sie seit vielen Jahren in Lanteinamerika und Europaweit.