INTERCLUB FEMINA IM PORTRÄT

Das Büro des Interclubs Femina ist im betriebsamen Stadtzentrum von Zgorzelec gut erreichbar. Der Altbau, der an das wilhelminische Bürgertum erinnert, hat seinen Charme noch nicht verloren, obwohl die Fassade und das Treppenhaus sanierungsbedürftig sind und den großzügigen Räumlichkeiten durch Aufteilung ihr ursprünglicher Charakter etwas abhanden gekommen ist. Zahlreiche Vereine, Beratungsstellen und Parteibüros sind in diesem Haus zu finden. Das Büro von Femina, wie alle den Verein kurz nennen, befindet sich im ersten Stock.

Erste Schritte über die Grenze: Kaffee und Kuchen im Dom Kultur

Im Dezember 1992 fand Hanna Ilnicka, heute Vorsitzende des Vereins, eine Weihnachtskarte in ihrem Briefkasten. Sie kam vom Demokratischen Frauenbund zu Görlitz, zusammen mit einer Einladung zur Zusammenarbeit. Frau Ilnicka sprach kein Wort Deutsch und es gab keinen vergleichbaren Verein vor Ort. Ein neuer bürgerlicher Geist war damals durch die Dynamik der politischen Wende aufgekommen und brachte neue Aufgaben und Erwartungen mit sich. Hanna Ilnicka lud die Vertreterinnen des Frauenbundes ins Dom Kultury , die ehemalige Oberlausitzische Gedenkhalle, zum Kaffee ein. Sechs Frauen von beiden Seiten der Neiße setzten sich zusammen: zwei Damen aus Zgorzelec mit einer Dolmetscherin und drei Görlitzerinnen. Der Gegenbesuch fand im März am Internationalen Frauentag statt. So kam es zu regelmäßigen Kontakten, zwei Mal im Monat, abwechselnd auf der deutschen und auf der polnischen Seite. Die Frauen waren neugierig aufeinander, die Gesprächsthemen lebensnah. In entspannter Atmosphäre, am Anfang immer mit Hilfe einer Dolmetscherin, kam es langsam zum Austausch und zur Anregung gemeinsamer Aktivitäten. Deutsch-polnische Sprachanimationen waren von Anfang an gewollt und sind zu einem festen Programmpunkt geworden. Die Begegnungen fanden in Zgorzelec im Dom Kultury statt, später wurde der Frauengruppe ein Gemeinschaftsraum im hiesigen Klinikum zugänglich gemacht. Während Mitglieder des Görlitzer Frauenbundes ihren festen Sitz hatten, blieb die polnische Gruppe informell und ohne eigene Adresse.

Logo des Interclub Femina (Photo: www.interclubfemina.pl)

Seit über 20 Jahren aktiv für Frauen in der Region

1998 wurde der Interclub Femina ins Leben gerufen, 2018 feierte er sein zwanzigstes Jubiläum. „Wir hatten nicht den Anspruch eine rein weibliche Organisation zu etablieren“, erinnert sich Hanna Ilnicka. Der Interclub wurde eher aus dem Moment heraus ins Leben gerufen. Die Begegnungen der vorangegangenen Jahre hatten den Alltag der Frauen bereichert. Persönliche Kontakte waren entstanden und viele der Frauen, die in dieser Zeit den Austausch suchten, politisierten sich und begannen, sich für grenzüberschreitende gesellschaftliche Fragen zu interessieren. Nach der Vereinsgründung arbeiteten sie an den ersten Konzepten, darunter auch an deutsch-polnischen Projekten. Bis heute gibt es Kontakte über die Neiße hinweg zu so aktiven Vereinen wie dem Demokratischen Frauenbund, dem GÜSA e.V., dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Meetingpoint Music Messiaen und dem KoLABORacja e.V. Was haben die Frauen beiderseits der Neiße von diesen Verbindungen? Ein Gefühl der Gemeinschaft, gegenseitiges Vertrauen und Unterstützung – und eine Menge Spaß. Sie sind Berufstätige und Rentnerinnen, einige Mitglieder sind seit 26 Jahre dabei. Bei den älteren, verwitweten Frauen hat die Vereinsmitgliedschaft im Laufe der Zeit eine tiefe freundschaftliche Dimension bekommen: Sie treffen sich sowohl auf Geburtstagen als auch auf Beerdigungen.

Frauen aktivieren und beraten

Heute zählt der Interclub Femina 37 Mitglieder und dient als Plattform für den Informations- und Erfahrungsaustausch zum bürgerschaftlichen Engagement und die Frauenarbeit auf regionaler Ebene. Neben der Förderung und Pflege des interkulturellen Austauschs gibt es viele weitere Angebote, die sich sich eng an der Lebenswelt der Frauen orientieren. Der Mehrwert jeglicher Veranstaltungen von Handarbeitsabenden bis Bundestagsexkursionen liegt dabei immer in den verbesserten Beziehungen und dem wachsenden gegenseitigen Vertrauen.

Zum Ziel des Vereins gehört die gesellschaftliche und berufliche Aktivierung von Frauen. Mit Ideen des Dialogs, der Beihilfe und Zusammenarbeit will er breitere Kreise ansprechen. In seinem Büro unterhält der Interclub Femina eine Filiale des Niederschlesischen Beratungspunktes für NGOs (Nichtregierungsorganisationen) und individuelle Personen, die an Zusammenarbeit interessiert sind. Allein im Landkreis Zgorzelec sind 400 Vereine und NGOs registriert. Der Interclub bietet juristische Unterstützung, meistens bei Vereinsgründungen und -auflösungen sowie Buchführung und Beschaffung von finanziellen Mitteln. Im Rahmen der Vereinsaktivitäten werden verschiedene Formen des bürgerlichen Engagements ausgeübt. Aktuell startet zur Förderung des Ehrenamtes im städtischen Raum das Projekt „Mütter-Töchter“ in Kooperation mit einem Kindergarten in Zgorzelec.

Die Frauen des Interclub Femina bei einer Preisverleihung. In der Mitte Hanna Ilnicka. (Photo: H.Ilnicka)

Kooperation als Gegenmodell

Das Engagement im dritten Sektor ist nach Auffassung von Hanna Ilnicka eine politische Aktivität, weil durch Tätigkeit der NGOs im öffentlichen Raum die Lokalpolitik mitgestaltet wird. Als Sozialarbeiterin hat Frau Ilnicka im Kreis Zgorzelec jahrelang für unterschiedliche Milieus und Familienkonstellationen gearbeitet und nach Lösungen für deren akute Probleme gesucht. Nach ihren Beobachtungen sind die beruflichen Entwicklungschancen, die Einsatzbereitschaft und der Unternehmungsgeist der Frauen östlich der Neiße von ihrem gesellschaftlichen Umfeld stark geprägt. Die Hindernisse, auf die Frauen auf dem beruflichen Weg und im bürgerschaftlichen Engagement stoßen, sind altbekannt: Die Rollenzuteilung innerhalb der Familie und die Aufgabenverteilung im Haushalt. Je nach der Stellung der Frauen in ihrem Umfeld, finden sie Zeit und Raum für die Erfüllung dieser traditionellen Rollenerwartungen oder für deren Veränderung. Besondere Einschränkungen und Herausforderungen sind in der Realität im ländlichen Raum vorhanden. Vor dem Systemwechsel 1989 wollten Frauen beides haben, Job und Familie. Danach wurde es wegen der knapperen Arbeitsplätze für die Frauen nicht leichter und die traditionellen Rollen im Alltag waren wieder präsenter. In Mehrgenerationshäusern, dank Unterstützung von Familienmitgliedern bei Ausbildung, Kinderbetreuung und Haushalt konnten manche dennoch ihre beruflichen Ziele erreichen. In den letzten 30 Jahren veränderten sich die klassischen Geschlechterrollen in Polen, wie auch in anderen Ländern. Frauen sind aktiv beteiligt in Sphären, wo sie bisher selten anwesend waren. Ganz nüchtern betrachtet ist der Zugang zu bestimmten Gütern der Zivilisation wie guten Waschmaschinen oder Geschirrspülern leichter geworden, Jobperspektiven und Staatsgrenzen sind offen. Dafür konkurrieren Frauen heute beruflich und politisch stärker miteinander, statt gemeinsam zu wirken. Die Erfahrungen der Mitglieder des Interclubs Femina zeigen jedoch, dass durch Kooperation oft mehr erreichbar ist.

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