Sehnsucht – Alltag – Idyll

Künstlerin sein in der Lausitz

 

Im März dieses Jahres, als es schlagartig in den ersten Lockdown ging, traf ich die Entscheidung, mir eine Wohnung in Görlitz zu nehmen. Damals lebte ich in Berlin. Die Vorstellung, Zeiten mit Ausgangssperren in dieser Stadt zu verbringen, war extrem beengend – ich traf die Entscheidung, einen Mietvertrag zu unterschreiben, ohne zu wissen, was mich erwartet, hier in der Oberlausitz.

Ausschlaggebend war mein Wunsch, mich an dem Ort, an dem ich bin, heimisch und vertraut zu fühlen. Und möglichst schnell in die Natur zu können, wenn mir danach ist. Beides war in Berlin nicht möglich. Seit einigen Jahren wünschte ich mir, zurück zu gehen in die Lausitz. Klar war für mich immer: wenn, dann ist es Görlitz. In einem Moment, in dem mein komplettes Leben als freiberufliche Künstlerin vorerst abgesagt wurde, konnte ich mich auf dieses Wagnis einlassen – was sollte passieren?

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"Nora, eine Frage", Performance, Kunsthaus Dresden, 2017 © Heidi Morgenstern

Die folgende Zeit machte es natürlich einigermaßen schwer, hier anzukommen. Mein Leben an diesem Ort lag 20 Jahre zurück. Ich habe die Zeit meines Abiturs in Görlitz verbracht, stamme aus einem kleinen Ort der Gegend. Die Strukturen haben sich grundlegend geändert, und in dieser Zeit zu knüpfen soziale Kontakte war unmöglich. Trotzdem ist in den vergangenen Monaten sehr viel passiert, was mein Leben in Görlitz angeht. Ein Gründer*innenstipendium, getragen vom Second Attempt e. V. und vom Ahoj Görlitz, ermöglichte mir eine weitgehende Vernetzung und tiefe Einblicke in die regionale strukturelle Entwicklung.

In den vergangenen Jahren scheint sich unglaublich viel bewegt zu haben, es sind Netzwerke und gemeinnützige Vereine entstanden, Cafés und kulturelle Einrichtungen in der Stadt. Wie ist es nun aber, wirklich als Künstlerin hier anzukommen, zu leben – und wie ist es, zu bleiben? Wer entscheidet sich, aus welchen Gründen dazu? Was bewegt Frauen, Künstlerinnen, dazu, den Versuch zu wagen, hier Fuß zu fassen? Für mich war es einerseits die Sehnsucht nach einer Verbundenheit mit dem Ort, der Landschaft und der Mentalität. Auch ein Verlangen, der Enge der Großstadt, den zu hohen Mieten, unbezahlbaren Ateliers und dem gefühlt ständigen Druck, mithalten zu müssen, zu entfliehen. Andererseits auch der Wunsch, etwas Eigenes zu finden, zu gründen, vielleicht einen Ort, ein Projekt, das da Sinn ergibt, wo es noch Raum und Bedarf gibt.

Mit einigen Künstlerinnen konnte ich mich hierzu austauschen, live oder im zoom- meeting. Was bewegt Dich, zu kommen; was, zu bleiben?

Meine Vermutung, dass sich Parallelen zeigen werden, bestätigte sich mit den Gesprächen. Oft ist ein Wunsch und eine Sehnsucht nach mehr Raum für das eigene „Selbst-Sein“ ausschlaggebend. Die Meisten sehnen sich nach mehr Ruhe und Platz, nach weniger Input und mehr Luft zum Atmen.

Das sind nicht die, die immer vorn sein wollen mit großen Projekten, es sind sehr feinsinnige Frauen, die auch gern in der Stille sind, für sich. Das heißt nicht, dass sie im Rückzug leben – sie gehen ihren Weg, unabhängiger von dem harten Markt der Ballungszentren, schaffen vielleicht eigene, stille, besondere Orte, an denen Menschen mit sich selbst in Berührung kommen können.

Christine Mann

 So führte mich mein Weg in das Atelier von Christine Mann, ihren Malort in der Görlitzer Altstadt. Nicht zuerst eine Liebe zur Landschaft, eine Verbundenheit mit der Region oder der Wille, hier selbstständig Fuß zu fassen führte sie hier her, vielmehr waren es ganz persönliche Gründe. Die „verschlungene Vielschichtigkeit“ ihrer eigenen Vita ist wie ein „persönlicher Schatz“, der zu dieser Form ihrer heutigen Existenz hier führte, und diesen wundervollen Ort hervorbrachte, der für viele Görlitzer*innen wohl ein sehr wichtiger ist: einer, in dem Persönliches Raum findet und bildhaft werden kann.

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Malort © Christine Mann

Es ist ein stiller Ort, eine ganz besondere Atmosphäre und Christine geht vollends in ihm auf, sie scheint ein bisschen eins mit ihm zu sein, auch wenn ich mit ihr hier bisher „nur“ Tee getrunken habe. Ihre Erlebnisse, ihr bisheriges Leben fließen spürbar in den Malort ein. Generell sei sie kein Mensch, der so richtig verwurzelt ist mit einer Gegend, es ist nicht so, dass ihr Herz an der Stadt, der Landschaft hängt, auch wenn es schön hier ist und sie seit ca. 20 Jahren hier lebt. Sie scheint sehr unabhängig, auch von äußeren Bewertungen, eher im Vertrauen auf das Selbst, die eigene Intuition und Intention. In die Stille, ins eigene Zentrum finden ist ein Thema, das kann sie hier, und sie kann genau das an Andere weitergeben.

Suntje Sagerer

 Eine andere Intention, und doch einen ähnlichen Ausgangspunkt hat Suntje Sagerer, bildende Künstlerin, Jahrgang 1982. Gerade hat sie den Schritt gewagt, von Dresden nach Bad Muskau zu ziehen an den Rand des Bad Muskauer Parks. Sie entschied sich dazu aus dem Wunsch heraus, mehr Raum zu haben für die eigene Arbeit, mehr Luft und Natur. Das Licht, die Wiesen, das Wasser, alles ist hier einzigartig, und nur hier genau so. Einige Sommer lang konnte sie das in früheren Jahren hier erleben, die sie aus ganz persönlichen Gründen in der Gegend verbracht hat.

Dies möchte sie nun wiederaufleben lassen und den Raum für ihre Kunst hier finden, den sie braucht. Ein Atelier, das groß genug ist und eine Basis für ihre Malerei bildet, wie auch eine große Wohnung mit Blick in die Natur.

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Suntje. © Suntje Sagerer

Das alles ist hier zu finden, Ruhe und weniger Ablenkung als in der Stadt, in Dresden. Suntje hat sich genau das genommen, was sie nun braucht: Ruhe und Raum. Wie es sein wird, als Künstlerin hier zu leben ist eine andere Frage, die für sie aufgrund ihrer Arbeitsweise vielleicht nicht einmal die zentralste ist. Wie auch Christine erscheint sie als sehr unabhängige Frau mit eigenen Wünschen und Vorstellungen, was ihren Weg als Künstlerin angeht. Das sind keine ausgetretenen Pfade, es ist eher ein Suchen nach Wegen, den eigenen Antrieb. Ihre Bilder entstehen aus ihr heraus und in ihrem Atelier, zu sehen sind sie dann überregional. Die notwendigen Kontakte bleiben bestehen und können auch von hier, online, ausgebaut werden. Inwiefern ihr das Leben in Dresden fehlen wird, welche Aspekte davon, wird sich zeigen. Es ist ein mutiger Schritt, der die Region mit Sicherheit in gewisser Weise verändern wird. Suntje ist eine Persönlichkeit. Sie geht die Dinge mit viel Energie und Elan an. Ideen gibt es genug, auch was ein Café in Bad Muskau, einen eigenen Galerieraum, Ausstellungen oder andere Projekte angeht.

Ein anderes Thema ist nun allerdings das Brücken schlagen, zwischen dem eigenen künstlerischen Anspruch und der Realität vor der Haustür, zwischen Wirtschaftlichkeit und Idealismus. Im Ort gibt es zwar Sinn für Kultur, gerade durch die Stiftung „Fürst-Pückler-Park“ Bad Muskau, allerdings ist die junge, zeitgenössische Kunst unterrepräsentiert und die Bevölkerung hat kaum Möglichkeiten, mit ihr in Kontakt zu kommen.

Da regen sich dann doch wieder Stimmen im Hintergrund, Zweifel an der Entscheidung, hier her zu gehen und es tut in einer Weise gut, sich Optionen offen zu halten, eines Tages doch zurück zu gehen in die Stadt.

Sarah Gosdschan

 Sarah Gosdschan lernte ich während meines Studiums in Dresden kennen, wir studierten ungefähr zur gleichen Zeit an der Kunsthochschule dort. Sie lebt heute in Leuthen bei Cottbus, wo sie 2018, gemeinsam mit ihrem Partner, Daniel Hoffmann, eine leerstehende Kaufhalle ersteigerte. Als Künstler*innenpaar hatten sie damals den Gedanken, diesen Ort für Kunst zu öffnen, vielleicht temporär Ausstellungen oder andere Veranstaltungen zu initiieren.

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Sarah. © Sarah Gosdschan

Heute leben sie hier als Familie, vor 10 Monaten ist ihre Tochter Elsbeth geboren. Sarah meinte, sie sei jetzt einfach Mutter und genieße es. Was das künstlerische Schaffen angeht, auch Pläne für den Ort, sei erst einmal alles offen, die Gedanken daran sind da, aber erst einmal in den Hintergrund gerückt.

Beide haben eine Stelle als Kunstlehrer*innen an der Waldorfschule in Cottbus. Diese wirtschaftliche Aussicht war ausschlaggebend für sie, in die Gegend zurück zu ziehen. Allerdings hat es auch etwas, mit Gleichgesinnten im Austausch zu sein, was hier auf dem Land nicht ganz so einfach ist. Das Leben in der Stadt ist dahingehend doch ein anderes. Es stand doch ab und zu im Raum, noch einmal zurück zu gehen, in das Urbane, vielleicht sogar Berlin. Das sind momentan aber sehr weit entfernte Gedanken, erst einmal genieße sie es, mit ihrer Tochter in der Natur zu sein, diese stille Vertrautheit erleben zu können, ohne den städtischen Trubel.

Künstlerinnen in der Lausitz

Es gibt unendlich viel Freiraum, viele Möglichkeiten in der Lausitz – und doch steht jede Künstlerin, die sich entscheidet, ihren Arbeitsschwerpunkt hier her zu verlegen, vor den gleichen Fragen. Die Kunst braucht einen Boden, auf dem sie wachsen, mit dem sie sich verwurzeln kann, Offenheit und Interesse ist da eine Basis, die zwar seitens der lokalen Institutionen zum Großteil vorhanden ist, allerdings (noch) nicht in weiten Teilen der Bevölkerung.

 

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Idyll. © Heidi Morgenstern

Dies aber kann Teil einer Veränderung sein – und die ist von weiteren Aspekten des Strukturwandels abhängig. Steigt für mehr Menschen die Aussicht, hier wirtschaftlich Fuß fassen zu können und damit das Einkommensniveau, bringt dies auch die Entwicklung des kulturellen Lebens mit sich. Vielleicht wird auch die aktuelle Situation unter Corona etwas beisteuern, wenn mehr Menschen als bisher in ihrem nächsten Sommerurlaub durch die Lausitz radeln, und einen neuen Blick auf die regionale Kulturlandschaft mitbringen. Noch sind es Vorreiterinnen, die in die Lausitz zurückkehren und bleiben, es sind Frauen und Künstlerinnen, die unabhängig sind mit ihrem Schaffen, ohne laut sein zu müssen. Sie sind es, die den Weg für das neue kulturelle Leben in der Lausitz ebnen.

Heidi Morgenstern...

... ist bildende Künstlerin, arbeitet vorrangig im öffentlichen Raum und beschäftigt sich mit der Frage, wie Brücken zwischen zeitgenössischer Kunst und alltäglichen Lebenswirklichkeiten geschaffen werden können. Seit 2020 lebt und arbeitet sie in Görlitz und Dresden: heidimorgenstern.de

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