WENN IHR STARKER ARM ES WILL

Ullrich Heinemann hat 46 im und für den Lausitzer Bergbau tätige Frauen an ihren Arbeitsplätzen fotografisch porträtiert. Die Wanderausstellung war von 2018 bis 2020 im Revier zu sehen. Heike Irion hat sich die Ausstellung angesehen und ausführlich mit Heinemann sprechen können. Eine persönliche Annäherung an ein kontroverses Thema.

Der respektvolle Blick

„Es geht nicht um mich“, sagt Ullrich Heinemann, als wir uns an einem sonnigen Oktobermorgen im Gemeindehaus von Neuhausen/Spree hinter unseren Mund-Nasen-Masken unterhalten. Hier stehen die Frauen im Mittelpunkt seiner großformatigen Fotografien, dafür war er bei manchen Bildern auch bereit, eigene Ansprüche an die Komposition zurückzustellen. Ebenso uneitel zeigten sich die Porträtierten. So, wie er sie antraf, in Verwaltungsgebäuden, neben riesigen Anlagen, im Tagebau, zum Teil verschwitzt und verstaubt. Mit großer Selbstverständlichkeit stehen sie da, vor „ihren“ Geräten und Anlagen, vor dem Bildschirm, der Halde. Mit Helm, mit Multimeter, auf der Kanzel, am Steuer. Auf vielen der Aufnahmen leuchtet das Orange der Firmenkleidung. Am eindrücklichsten aber sind die Gesichter.

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„Frauen im Lausitzer Revier“ heißt die Fotoausstellung, und ins Revier ist Ullrich Heinemann für seine Porträts gegangen. Er war selbst bis zur Pensionierung im Lausitzer Bergbau tätig, noch heute begleitet er Besucher*innengruppen durch den Tagebau Welzow-Süd, man kennt sich. „Ich habe wahnsinnige Hochachtung vor diesen Frauen, die in drei Schichten, Tag und Nacht, dafür sorgen, dass wir stabil Strom haben, und das oft noch zusätzlich zu Haushalt und Familie“, erklärt der Fotograf. Diese Haltung spricht sowohl aus seinem Auftreten als auch aus seinen Bildern.

Sein so respektvolles Frauenbild habe er von zu Hause mitbekommen, wo Vater und Mutter liebevoll vorlebten, dass Männer und Frauen gleichwertig sind und gleichberechtigt sein können. Mit dieser Einstellung ist er auf die Frauen im Tagebau zugegangen.

Gesicht zeigen

Viel Überzeugungsarbeit habe es nicht gebraucht, die Mehrzahl der Kolleginnen war schnell bereit, sich porträtieren zu lassen. Hilfreich war dabei sicherlich das aktive Mitwirken von Silke Butzlaff, Eimerketten-Baggerfahrerin im Tagebau Welzow-Süd. Gemeinsam mit Heinemann erarbeitete sie die Idee zum Projekt und verbreitete diese unter den Kolleginnen. Sie vermittelte Kontakte und begeisterte die Frauen. Wenn Heinemann auf Schicht nach einem verabredeten Fototermin noch eine weitere Kollegin für ein spontanes Shooting vor Ort ansprach, dann wusste auch diese bereits Bescheid über das Projekt.

Für Butzlaff war „Ende Gelände“ im Jahr 2016, die Besetzung und Blockade des Kraftwerks Schwarze Pumpe durch Umweltaktivst*innen Anlass, etwas tun zu wollen: Die Kumpel sollten mit ihrem Porträt für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze einstehen, der Braunkohle ein menschliches Antlitz geben. Diese Idee konnte nicht realisiert werden, aber es wurde aus ihr das Thema „Frauen im Lausitzer Revier“ geboren. Mit Würde und Anstand wolle er die Wertigkeit der Arbeit dieser Frauen zeigen, erzählt Heinemann, das sei sein Hauptanliegen gewesen.

Mit selbstbewusstem Blick zeigen sich die 46 Kolleginnen, jede an ihrem Arbeitsplatz, in Arbeitskleidung, so, wie sie sich vor Schichtbeginn selber geschminkt haben oder nicht, in den meisten Fällen nur mit natürlichem Licht fotografiert. Von der Verwaltungsassistentin bis zur Ingenieurin ist eine möglichst breite Palette der Berufe im Tagebau vertreten, auch das war Heinemann wichtig. Von zwei Auszubildenden Mechatronikerinnen bis zu noch in der DDR ausgebildeten Baggerfahrerinnen, die in absehbarer Zeit aus dem Berufsleben ausscheiden werden, sind alle Altersgruppen vertreten. Auffallend ist dabei, dass die Mehrzahl der abgebildeten Frauen in hochqualifizierten und hochspezialisierten Positionen tätig ist.

Tine Jurtz Fotografie 2020 10 9202 scaled e1603723471961

Beim Betrachten fällt mir auf, dass viele dieser Arbeitsplätze eines gemeinsam haben: Viel Technik. Wenig Mensch. Dort kontrolliert eine Kollegin tonnenschweres Gerät, tausende Megawatt Strom auf Knopfdruck. Ihre Kompetenz und ihr Stolz sind diesen Frauen ins Gesicht geschrieben, diesen Frauen, die im Alltag für uns unsichtbar souverän sehr große Verantwortung tragen.

Die Bilder vermitteln den Eindruck, dass jede einzelne dieser Frauen ohne Zögern die Gelegenheit ergriff, sichtbar zu werden, sich und ihre Leistung zu zeigen. Nur vier von 50 fotografierten Frauen gaben am Ende kein Foto für die Ausstellung frei.

Energiegewinnung aus Braunkohle ist ein Auslaufmodell, aber: „Solange es politisch gewollt ist, machen sie diese wichtige Arbeit“, kommentiert Heinemann, „ich ziehe den Hut vor dieser Verantwortung, das sind alles starke Frauen.“ Die sich zufrieden zeigten, im Reinen mit sich und ihren Berufen, fröhlich, was das Leben ihnen auch an Schwierigkeiten bereite. Ich sehe in ihre Gesichter während wir uns unter der hellen Lampe im Verwaltungsflur unterhalten: die Feuerwehrfrau, die Industrieelektronikerin, die Gleisarbeiterinnen, und mir wird sehr bewusst, dass Strom von Menschen gemacht wird.

Ullrich Heinemann wird die Fotos bald einpacken und bei sich zu Hause einlagern, die Reise seiner Ausstellung ist vorerst beendet. Vernissage war im November 2018 im Kraftwerk Schwarze Pumpe (das traf sich terminlich fast auf den Tag mit dem 100-jährigen Jubiläum der Erringung des Frauenwahlrechts in Deutschland, bemerkt Heinemann schmunzelnd), im Juli 2019 zog die Ausstellung weiter nach Boxberg, ab September 2020 sollten die Fotos eigentlich im Kraftwerk Jänschwalde zu sehen sein, was die Corona-Pandemie verhinderte, sodass sie zuletzt verlängert in der Gemeindeverwaltung Neuhausen/Spree hingen.

Wenn es nach Heinemann ginge, könnte seine Ausstellung weiter wandern, auch über sein Revier hinaus: „Die Porträts müssten auch in anderen Orten gezeigt werden, z. B. in der Energiefabrik Knappenrode oder sogar im Deutschen Bergbaumuseum in Bochum.“ Beiden würden diese kraftvollen Bilder sicher gut stehen.

Vom Revier ins Studio

Ein bleibendes Zeugnis der „Frauen im Revier“ liegt neben mir, während ich diese Zeilen tippe. Ein Projekt, das aus dem ursprünglichen Fotoprojekt geboren wurde, nämlich ein Kalender 2020, in dem sich 12 der 46 Frauen nochmals vor Heinemanns Kamera begaben. Diesmal im zum Studio umfunktionierten Hobbyraum im Keller seines Hauses bzw. in dessen Garten.

Jede der Frauen hatte freie Hand bei der Auswahl ihrer Kleidung und beim Styling, das eine befreundete Stylistin übernahm, und alle 12 entschieden sich für großen Kontrast zu den ersten Bildern. In zum Teil betont weiblicher Kleidung, auffallender geschminkt, die Haare frisiert, geschmückt, zum Teil sehr privat. Im Brautkleid. Im Dirndl. Als Clown.

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Auch im Blick hat sich etwas verändert. Mir fallen meine Jahre in einem „Männerdomäne“-Beruf ein, und wie ich mir mit der Arbeitskleidung zugleich jedes Mal meine Arbeitspersönlichkeit überzog. Eine solche legen sich alle Berufstätigen zu, für Frauen in „Männerberufen“ ist es aber nochmal besonders. Ich sehe im Vergleich jetzt deutlich, dass sich die Frauen im Revier bei Schichtbeginn mit der Firmenkleidung auch ihr Schichtgesicht anziehen.

Unter den großen Studio-Porträts zeigt der Kalender im kleineren Format Heinemanns Fotos der Frauen am Arbeitsplatz, gerahmt von dramatischen Weitwinkel-Fotos dieser Arbeitsplätze in den Tagebaulandschaften. Zumindest im Kleinen bleiben also einige der Fotos noch eine Weile sichtbar.

Die heiße Kartoffel Kohle, oder: Strukturwandel?

Ich fahre zurück in die Stadt, die ihre Stromversorgung zum Großteil auf erneuerbare Energien umgestellt hat[1] – beeindruckt, berührt, im Kopf sich neu formende Fragen.

Es fällt mir leicht, diese Frauen und ihr Können, ihre Lebensleistung zu respektieren. Ich möchte mich verführen lassen von diesem Gedanken: Die machen da nur ihre Arbeit, die Entscheidung treffen ja andere. Zugleich erkenne ich, wie problematisch er ist.

Kaum ein Berufsfeld bringt – für ganze Regionen – so viel Identität und Identifizierung mit sich wie die Kohle. Ich bin nahe am Ruhrgebiet aufgewachsen, war mit Bergmannskindern befreundet, ich habe die Arbeitskämpfe in der Stahlindustrie und in den Gruben hautnah erlebt. Im Schacht musst du dich absolut aufeinander verlassen können, das schafft Gemeinschaft, das formt Menschen. Die Arbeit ist schwer und gefährlich, aber du machst sie, damit alle anderen im Land es warm haben. Das war viele Jahrhunderte lang wahr.

Auch im Braunkohle-Tagebau ist die Arbeit für viele Kolleginnen noch hart. Sie gehen da raus, bei jedem Wetter, es ist laut und staubig. Der Zusammenhalt, der Stolz dieser Kolleginnen ist über Jahrhunderte gewachsen, ihre Tätigkeit hat der Lausitz vielerorts ihr heutiges Gesicht gegeben. Natürlich wünsche ich den Kumpeln hier, dass ihre Leistung wertgeschätzt wird. Den Frauen der DDR-Generationen mit diesen ausdrucksstarken Gesichtern, in die so viel Leben gezeichnet ist, natürlich wünsche ich ihnen, dass sie ihre letzten Berufsjahre ohne großen Umbruch absolvieren dürfen.

„Wir haben hier ja schon einen Ausstieg mitgemacht“, sagt Heinemann, damals in den 1990ern, als achtzig Prozent der Kapazitäten runtergefahren wurden. Die Region hat bewiesen, wie in diesem Bruch neue Höchstleistung aufblühen konnte. Damals wurde aber auch viel gerettet. Ganze Orte, Ortsteile und Landschaften vor der bereits geplanten Abbaggerung.

Was für eine verpasste Chance, denke ich. Diese Kompetenzen und Technologien mussten damals nicht zwangsläufig zum Braunkohleabbau (weiter-)entwickelt werden, das war eine Entscheidung. Eine Entscheidung im Angesicht schon damals alarmierender CO2-Emissionen und düsterer Prognosen für Klima und Menschheit.

Sie ist politisch gewollt, diese Tagebau-Braunkohle, sonst würde die Energiewende nicht wieder und wieder verschoben werden. Vom Strukturwandel sei hier im Revier noch nichts zu spüren, attestiert Heinemann, keine sichtbaren Anstrengungen würden unternommen, um eine Umstellung auf erneuerbare Energien vorzubereiten.

Ich denke an diese Gesichter der Braunkohle und denke, dass das Wissen und Können der hier gezeigten Frauen und ihrer Kolleg*innen sicher auch in anderen Bereichen gut genutzt werden könnten, zum Beispiel um genau diesen Strukturwandel einzuleiten und umzusetzen. Ich denke: Wie oft wurden und werden notwendige Veränderungen von Frauen bewirkt – das ist ein Gespräch, das ich mit den Frauen selber führen möchte.

[1] Quelle: https://www.stadtwerke-goerlitz.de/fileadmin/docs/pdf/privatkunden/strom/Vero%CC%88ffentlichungen/Stromkennzeichnung_2018_20191206.pdf

Tine Jurtz Fotografie 2020 10 9339 768x512

Ullrich Heinemann…

… Jahrgang 1947, hat im Kaliwerk Roßleben in Thüringen gelernt und war von 1974 bis 2001 im Lausitzer Revier in unterschiedlichen Funktionen tätig. In den Jahren 1978/79 absolvierte er über den Kulturbund der DDR die Ausbildung zum fotografischen Zirkelclubleiter und leitete bis zur Wende den Fotoclub „Glück auf“ im Kulturhaus der Bergarbeiter Cottbus, der zwei Mal die Goldmedaille bei den Arbeiterfestspielen gewann. Im Vorruhestand gründete und leitete er seit 2006 einen zweiten Fotoclub „Glück auf“, dessen sechs Mitglieder in zehn Jahren 25 Ausstellungen produzierten. Diese wurden u. a. in Stockholm, Potsdam und verschiedenen Städten der Lausitz gezeigt. Die hier besprochene Ausstellung ist seine erste Porträtausstellung.

Interessierte können ihn als Gästeführer im Tagebau Welzow-Süd antreffen.

Heike Irion…

… Jahrgang 1975, wuchs in der Nähe des Ruhrgebietes auf und kam über Berlin und England 2016 in die Lausitz. Sie hat eine Ausbildung als Fremdsprachenkorrespondentin und einen englischen Bachelor als Event Designerin und Produzentin. Sie ist seit 15 Jahren freiberuflich kulturschaffend tätig, u. a. als Regieassistentin, Übersetzerin, Pyrotechnikerin und Autorin. Seit 2020 lebt sie mit Mann und Kind in Görlitz.

Fotografische Begleitung des Interviews…

… von Tine Jurtz

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